Aktivitätsmessung ohne Firlefanz
(02.12.2020) Mit einem vereinfachten Ca2+-Imaging-Verfahren können Neurowissenschaftler die Aktivität von Neuronen auch ohne externe Stimuli untersuchen.
Die Calcium-Bildgebung ist ein Standardwerkzeug für die indirekte Messung der Aktivität und Dynamik neuronaler Netzwerke. Um Veränderungen auf Netzwerk-Ebene in kultivierten Neuronen zu untersuchen, wird die neuronale Aktivität oft durch externe elektrische oder optogenetische Stimulation angekurbelt und mithilfe von Multielektroden-Arrays oder Bildgebungs-Verfahren gemessen. Mit diesen Techniken sind zwar detaillierte Netzwerk-Analysen möglich: Multielektroden-Arrays sind jedoch auf Einzelzell-Ebene nicht präzise genug und zudem technisch sehr anspruchsvoll. Der Synapsen-Spezialist und Nobelpreisträger Thomas Südhof von der Stanford University School of Medicine in Kalifornien suchte deshalb zusammen mit seinem Mitarbeiter Zijun Sun eine einfache Alternative. Die beiden entwickelten schließlich ein einfaches Ca2+-Imaging-Protokoll, das ohne externe Stimulation auskommt.
Von Stammzellen zu Neuronen
Bei der Ca2+-Bildgebung werden mithilfe von GCaMP-Calcium-Indikatoren intrazelluläre Ca2+-Ströme gemessen, die durch neuronale Depolarisation und Aktionspotentiale ausgelöst werden. Auch Südhof und Sun wählten diesen Weg. Sie kultivierten H1 embryonale Stammzellen, die sie zu induzierten humanen Neuronen umwandelten (Transdifferenzierung). Die Induktion der humanen Neuronen erfolgte mit Tetracyclin-Transaktivator mithilfe eines Lentivirus-Vektors. Gleichzeitig infizierten die Forscher die H1 embryonalen Stammzellen mit einem weiteren Vektor, der GCaMP6m unter der Kontrolle des humanen Synapsin-1-Promotors exprimierte.
Nach vier Tagen dissoziierten Südhof und Sun die Zellen und säten sie auf Deckgläsern in 24-Well-Platten aus, auf die sie 24 bis 48 Stunden zuvor Maus-Gliazellen plattiert hatten. Die Co-Kultur aus Neuronen und Gliazellen kultivierten sie noch etwa einen Monat weiter, nach 35 bis 40 Tagen starteten die Forscher mit der Ca2+-Bildgebung. Dazu wuschen sie die Deckgläser zunächst in einer Elektrolyt-Lösung mit physiologischer Zusammensetzung (Tyrode-Lösung) und überführten sie danach in eine weitere Well-Platte mit Ca2+-Imaging-Puffer. Für die Aufnahmen der Signale verwendeten die beiden ein Epifluoreszenz-Mikroskop. Mithilfe eines selbst entwickelten Matlab-Algorithmus nahm das Duo die Fluoreszenzsignale der Neuronen-Somata in Abhängigkeit von der Zeit auf und wertete die Daten aus.
Einfach die Konzentration erhöhen
Im ersten Ansatz tauchten von den induzierten Neuronen nur vereinzelt und gelegentlich spontane Ca2+-Spitzen auf. Auch feuerten selten zwei oder mehr Neuronen gleichzeitig. Dieses Problem lösten Südhof und Sun, indem sie die Konzentrationen von Ca2+ und K+ im Puffer erhöhten. Bei einer Konzentration von 4 mM beziehungsweise 8 mM konnten sie vermehrte synchrone Burst-Ereignisse beobachten. Eine externe Stimulation, um synchrone Ca2+-Spitzen auszulösen, war demzufolge nicht notwendig.
Als Nächstes quantifizierten die zwei Forscher die synchrone Feueraktivität der Neuronen. Dazu analysierten sie die synchronen Ca2+-Spitzen innerhalb des Neuronen-Netzwerks, die durch abgefeuerte Aktionspotentiale ausgelöst werden. Die synchrone Feuerrate definierten die beiden als Anzahl der synchronen Ca2+-Spitzen pro Minute. Die Wissenschaftler verglichen die Netzwerk-Aktivität in der Zellkultur unter verschiedenen Bedingungen: In Tyrode-Medium bei physiologischen Konditionen sowie in Imaging-Medium, das erhöhte Ca2+- (4mM) und K+- (8mM) Konzentrationen enthielt. Mit dem Ergebnis, dass die synchrone Feuerrate in der Imaging-Lösung wesentlich höher war als in Tyrode-Medium. Südhof und Sun schauten sich deshalb den Variationskoeffizienten an, der aus dem Verhältnis der Standardabweichung der Feuerrate zu ihrem Mittelwert in einem Bildausschnitt resultiert. Der Variationskoeffizient unterschied sich nicht signifikant zwischen den beiden Kulturbedingungen: die Netzwerk-Aktivität war also unter beiden Kulturbedingungen mehr oder weniger gleich.
Netzwerk-Aktivität gedrosselt
Das Imaging-Medium verstärkte demnach die Feuerrate der einzelnen Neuronen, ohne die synchrone Netzwerk-Aktivität zu beeinflussen. Letztere untersuchte das Forscher-Duo im nächsten Experiment. Sie versetzten die Zellkultur mit 10 µM des AMPA-Glutamatrezeptor-Antagonisten CNQX und beobachteten anschließend die synchrone Feuerrate. CNQX drosselte die Netzwerk-Aktivität erheblich. Dies war zu erwarten: Ngn2-induzierte humane Neuronen bestehen fast ausschließlich aus exzitatorischen Neuronen; AMPA-Glutamatrezeptoren sind in diesen die am häufigsten vorkommenden Neurotransmitter-Rezeptoren. Mit dem Na+-Kanalblocker Tetrodotoxin gelang es den Wissenschaftlern, die synchrone Netzwerk-Aktivität sogar ganz zu blockieren, die Ca2+-Spitzen verschwanden hierdurch vollständig.
Fehlte nur noch die Validierung des neuen Ca2+-Imaging-Protokolls. Das Forscher-Duo wählte hierzu eine gut charakterisierte Mutation, welche die synaptische Transmission beeinträchtigt. Munc18-1 spielt eine zentrale Rolle bei der Fusion synaptischer Vesikel. In Kindern verursacht die Munc18-1-Deletion das sogenannte Ohtahara-Syndrom, eine schwerwiegende neurologische Entwicklungsstörung. Südhof und Sun erzeugten Ngn2-Neuronen mit konditioneller Munc18-1-Deletion und exprimierten in diesen zusätzlich zu GCaMP6m die Cre-Rekombinase, um die Munc18-1-Deletion zu induzieren.
Gestörte Kommunikation
Die Ca2+-Spitzen waren in den mutierten Neuronen nur etwa halb so stark wie in den Kontrollen. Interessanterweise reduzierte die Deletion in einzelnen Neuronen die Signalamplitude um etwa 30 Prozent, führte aber zu einem markanten Anstieg der Ca2+-Signalfrequenz. Diese vermehrten Ca2+-Spikes waren überwiegend asynchron. Die Forscher erklären dies mit aberranten Ca2+-Spitzen in den mutierten Neuronen, die durch die unterdrückte synchrone Feueraktivität hervorgerufen werden. Offensichtlich ist die synaptische Kommunikation durch die Munc18-1-Deletion gestört.
In einem weiteren Experiment untersuchten die kalifornischen Forscher corticale Neuronen, die aus neugeborenen Mäusen mit einer konditionellen Deletion aller drei Neurexine (Pan-Neurexin-Deletion) stammten. Neurexine sind präsynaptische Adhäsionsmoleküle, die eine Schlüsselfunktion bei der Regulation von Synapsen spielen. Die Deletion aller Neurexine führt zu erheblichen Störungen der synaptischen Kommunikation.
Entsprechend beobachteten Südhof und Sun eine schwächere synchrone Feuerrate in den Deletionsmutanten. Interessanterweise verursachte die Pan-Neurexin-Deletion jedoch bei einzelnen Neuronen einen signifikanten Anstieg der Ca2+-Spitzen-Amplitude. Im Gegensatz hierzu traten Ca2+-Spitzen in Pan-Neurexin-Deletionsneuronen deutlich seltener auf. Das neue Ca2+-Imaging-Protokoll kann also nicht nur mutante Phänotypen erkennen, sondern auch zwischen verschiedenen Phänotypen unterscheiden.
Miriam Colindres
Sun Z. & Südhof T. (2020): A simple Ca2+-imaging approach to neural network analysis in cultured neurons. BioRxiv, DOI: 10.1101/2020.08.09.243576
Bild: Pixabay/ColiN00B