Einstieg auf Empfehlung
Sein Gründerkollege und als Chief Executive Officer (CEO) weiterer Geschäftsführer Hanjo Hennemann hatte im Unterschied zu Behrens schon zuvor Erfahrung mit einer Firmengründung gemacht. Der früher in der Krebsforschung tätige Molekularbiologe hatte von seiner Postdoc-Zeit in San Diego eine Technologie mitgebracht, die er mit der selbst gegründeten Nexigen GmbH zur Marktreife bringen wollte. Weil der Wirkstoff-Kandidat es aber nicht durch die klinischen Studien schaffte, orientierte sich Hennemann um und stieg auf Empfehlung in das Impfstoff-Projekt der Hallenser Virenforscher ein.
Noch an der Uni sicherte sich Verovaccines eine der begehrten, vom BMBF-finanzierten GO-Bio-Förderungen. „Das war ein großer Wurf für uns“, erinnert sich Hennemann. „Wie kompetitiv das Programm ist, sieht man auch daran, dass wir noch immer das einzige geförderte Projekt in ganz Sachsen-Anhalt sind.“ 2017 folgte dann die Ausgründung, bei der neben Hennemann und Behrens auch Behrens‘ Ehefrau Martina als Veterinärmedizinerin mit an Bord ist. Das geistige Eigentum inklusive aller relevanten Patente wurde dabei auf die Firma übertragen. „Heute kooperieren wir noch auf technischer Basis, sind aber auf der IP-Seite völlig unabhängig von der Uni Halle-Wittenberg“, so Behrens.
Das Risiko minimieren
Die Impfstoff-Plattform von Verovaccines basiert auf modifizierten und patentierten Stämmen der Milchhefe Kluyveromyces lactis, was gleich mehrere Vorteile mit sich bringt, wie Hennemann erklärt: „In der Tiermedizin werden bislang hauptsächlich Virus-basierte Totimpfstoffe oder attenuierte Lebendimpfstoffe verwendet. Dabei lässt sich aber nie ganz ausschließen, dass einzelne Erreger revertieren oder mit anderen ‚Feld‘-Viren rekombinieren und dann, im schlimmsten Fall, ebenfalls eine Epidemie auslösen.“ Verovaccines setzt deshalb auf Subunit-Impfstoffe, bei denen die Tiere zu keiner Zeit mit einem Krankheitserreger in Kontakt kommen. „Subunit-Impfstoffe enthalten nur ein oder wenige Antigene des Erregers“, so der CEO. „In unserem Fall sind das Proteine, die Kluyveromyces bildet, nachdem wir die entsprechenden Gene eingebracht haben.“
Zum guten Sicherheitsprofil gesellt sich die kostengünstige Herstellung. „Bei einem Huhn darf eine Impfung keine 20 Euro kosten“, sagt Hennemann. „Wir können günstig produzieren, weil wir mit wenigen Produktionsschritten auskommen und diese beliebig hochskalieren können.“ So wächst Klyveromyces im Fermenter zu hohen Zelldichten, und nach der Ernte müssen die Hefezellen lediglich getrocknet und mittels Bestrahlung inaktiviert werden. „Das tote Hefematerial ist dann der Impfstoff, den wir subkutan oder intramuskulär verabreichen können“, erklärt Behrens. Die Antigene verbleiben dabei in Innern der Hefezellen. „Möglicherweise werden sie dem Immunsystem durch dendritische Zellen präsentiert, die die Hefezellen phagozytiert haben“, spekulieren die Gründer, legen aber Wert darauf, dass das noch nicht bewiesen sei.
Maximale Flexibilität
Gezeigt hat Verovaccines dagegen, dass in ihren Hefestämmen bis zu fünf verschiedene Antigene eines Erregers miteinander kombiniert werden können. Dadurch entstehen bestenfalls Proteinkomplexe, die virusähnlichen Partikeln ähneln und hochimmunogen sind. Alternativ lassen sich Antigene verschiedener Erreger kombinieren oder auch verschiedene Impfstämme. „Durch unsere Kombinations-Impfstoffe sind wir flexibel in der Anwendung“, sagt Hennemann und fügt hinzu: „Optimalerweise können wir mit einer einzigen Impfung gleich gegen mehrere Infektionserreger impfen.“
Wichtig ist den Gründern, dass ihre Impfstoffe thermostabil und deshalb nicht auf eine Kühlkette angewiesen sind. „Wir möchten explizit nicht nur für Deutschland entwickeln“, sind sie sich einig und erzählen, dass in Ländern, die von Fleischexporten abhängen, gegen bestimmte Erreger oft gar nicht geimpft werde, weil sonst Exportverbote drohen – mit der Folge, dass bei Ausbruch einer Epidemie ganze Bestände gekeult werden müssen. „Fleisch von Tieren, die Impfstoffe auf Basis inaktivierter oder attenuierter Erreger erhalten haben, lässt sich bei einer Untersuchung nicht vom Fleisch infizierter Tiere unterscheiden“, erklärt Hennemann. „Nach einer Impfung mit Subunit-Impfstoffen finden sich im Fleisch dagegen nur Antikörper gegen definierte Antigene, sodass eine Infektion ausgeschlossen werden kann.“ Vermutlich können die Virus-Impfstoffe sogar die Nutzung von Antibiotika reduzieren, weil Letztere oft zur Behandlung von bakteriellen Sekundärinfektionen eingesetzt werden.
Mehrere „Pferde im Stall“
In den wenigen Jahren ihrer Existenz hat Verovaccines bereits für sechs Impfstoffe gegen Viruserkrankungen der wichtigsten Nutztiergruppen Geflügel, Schweine und Rinder – darunter Infektiöse Bursitis im Huhn und die Bovine Virusdiarrhoe – den „Proof of Concept“ erbracht. Der Wirksamkeitsnachweis im Zieltier nach Belastungsinfektion ist gewissermaßen das Äquivalent einer erfolgreichen Phase-2-Studie in der Humanmedizin.
Stolz sind die Gründer auch darauf, dass in einigen Fällen bereits eine einzige Dosis wirksam schützt: „Damit durchbrechen wir das Prime-Boost-Schema für Subunit-Impfstoffe.“ Durch die parallele Entwicklung verschiedener Impfstoffe lasse sich das Risiko für jedes einzelne Projekt reduzieren – ein Vorteil, der dadurch möglich ist, dass Tierimpfstoffe im Vergleich zu ihren Humanpendants nur die Hälfte der Entwicklungszeit benötigen und sogar nur ein Hundertstel der Kosten. Können also mithilfe der Milchhefe Impfstoffe gegen jegliche Krankheitserreger hergestellt werden? „Nein“, sind sich die beiden Geschäftsführer einig. Allerdings sei Verovaccines gut aufgestellt, weil Impfstoffe sowohl gegen behüllte als auch gegen unbehüllte Viren produziert werden können und bereits Wirksamkeitsnachweise bei verschiedenen Nutztier-Arten erbracht worden seien.
Eintauchen in eine andere Welt
Inzwischen hat Verovaccines elf Mitarbeiter, einschließlich Leitern für einzelne Projekte und einer neu eingestellten Projektmanagerin, die alle Projekte koordiniert. „Wir erleben gerade eine massive Professionalisierung“, freut sich Behrens. Wenn alles gut geht, soll das erste Produkt in drei bis vier Jahren auf dem Markt sein. Finanziert wird das Unternehmen noch immer durch GO-Bio – laut Behrens und Hennemann ein tolles Förderinstrument, das erfolgreich die Brücke zwischen Akademia und Industrie schlage.
Zudem hat das Unternehmen verschiedene erfolgreiche Finanzierungsrunden hinter sich sowie zwei internationale Kooperationen. Ein Kooperationspartner gehe mit dem am weitesten fortgeschrittenen Impfstoff-Kandidaten gerade zur industriellen Produktion über. „Das ist eine extrem spannende Zeit“, ist Behrens überzeugt. „Wir können jetzt in eine andere Welt eintauchen und in der Pharmawelt Fuß fassen. Dafür holen wir uns Expertise von außen durch neue Mitarbeiter und Berater, haben einen wissenschaftlichen Beirat gegründet und stehen mit Mitgesellschaftern im Austausch, die eigene Erfahrungen in der Gründerszene haben.“
Am Ende lüftet der Virenforscher noch das Geheimnis um den klangvollen Firmennamen: „Das Vero kommt ganz einfach aus dem Gattungsnamen Kluyveromyces. Uns gefällt aber das Wortspiel, weil Vero auch ‚das Wahre‘ heißt.“ Ob die „wahren Impfstoffe“ halten, was ihr Name verspricht, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Im Moment sieht auf jeden Fall alles nach einem „wahren“ Erfolg aus.
Larissa Tetsch
Bild: Pixabay/tookapic
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Letzte Änderungen: 23.06.2022