Editorial

Malariamücken
am Neckar

(09.01.2023) Noch gibt es die tropischen Insekten dort nur in Forschungslaboren – zum Beispiel in dem der frisch ERC-geförderten Systembiologin Victoria Ingham.
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Victoria Ingham bei ihrer Arbeit mit Anopheles-Mücken.

Im November war es mal wieder so weit, der Europäische Forschungsrat ERC gab die Gewinner der Starting Grants 2022 bekannt. Ganze 124 Anträge von 860 in den Life Sciences kamen durch (Erfolgsquote: 14,4 Prozent). Eine der Glücklichen ist Victoria Ingham, die sich über 1,5 Millionen Euro Förderung freuen kann.

Überzeugt hatte sie die Gutachter mit ihren Projekt ReMVeC, in dem sie unter anderem untersucht, wie sich Resistenzen von Stechmücken auf die Entwicklung der Plasmodien und ihre Übertragung auswirken. Denn zur Kontrolle der Plasmodien-übertragenden Stechmücken werden mit Insektiziden behandelte Netze und Insektizid-Sprays, vorwiegend synthetische Pyrethroide, eingesetzt. Die Malaria-übertragenden Stechmücken sind jedoch zunehmend resistent gegen die verwendeten Insektizide.

Die Junior­gruppen­leiterin am Deutschen Zentrum für Infektions­forschung (DZIF) und der Universitätsklinik Heidelberg arbeitet dazu mit Kollaborations­partnern in Burkina Faso am Nationalen Zentrum für Forschung und Ausbildung über Malaria sowie in Heidelberg am Institut für Global Health, an der Universi­tätsklinik und am EMBL zusammen.

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Gestresste Mücken

Als Modell­organismen verwendet Ingham Insektizid-resistente sowie Insektizid-empfindliche Stechmücken der Art Anopheles coluzzii aus Burkina Faso. In diesen untersucht sie die Expression von Genen, die auf Insektizid-Stress und Infektions-Stress reagieren. Außerdem schaut sich die Wissen­schaftlerin die Entwicklung von genetisch veränderten Plasmodien an, die gegen Malaria-Medikamente resistent sind.

Die Stechmücken, die in Heidelberg verwendet werden, sind in der Regel nicht infektiös. Es sind deshalb keine besonderen Sicherheits­vorkehrungen nötig. Allerdings sind Stechmücken schwer zu züchten. „Unsere Kollaborations­partner in Burkina Faso verfügen über die nötigen Kategorie-3-Sicherheits­einrichtungen, um zu prüfen, ob sich Erkenntnisse aus unserer Grundlagen­forschung mit Moskitos aus der Natur und Plasmodien aus Malaria-infizierten Menschen reproduzieren lassen“, so Ingham.

Von der Bioinformatik zur Malaria-Forschung

Das Rüstzeug für ihre derzeitige Position erwarb Ingham in Großbritannien. Sie hat am Magdalen College der britischen Universität Oxford Biologie studiert. Danach wechselte sie an die Universität Warwick, wo sie ihren Master of Science in System­biologie ablegte. „An der Universität Warwick habe ich mich intensiv mit Bioinformatik beschäftigt und gelernt, wie man mit großen Datenmengen umgeht“, so die Forscherin. Ihre Doktorarbeit über neue Mechanismen der Insektizid-Resistenz hat sie an der Universität Warwick und der Liverpool School of Tropical Medicine (LSTM) bei Hilary Ranson geschrieben, wo sie danach noch anderthalb Jahre als Postdoc forschte. „Hilary hat mir gezeigt, wie man Mitarbeiter führt und mich Unabhängigkeit gelehrt. Sie ist auf jeden Fall mein Vorbild als Gruppen­leiterin. Wir arbeiten auch weiterhin zusammen“, erklärt Ingham.

Während ihrer Zeit in Liverpool identifizierte sie neue Kandidaten für Insektizid-Resistenz, indem sie Transkriptom-Daten zu empfänglichen und resistenten A. gambiae, A. coluzzii und A. arabiensis auswertete. Auch andere Forscher können über den Insecticide Resistance Transcript Explorer IR-TEx diese Daten für weitere Analysen nutzen. „Ich habe entdeckt, dass die Überexpression des Pyrethroide-bindenden Sensory Appendage Proteins (SAP2) in den Insekten­beinen zur Resistenz gegen diese Insektizid-Klasse führt. Das war ein völlig neuer Resistenz-Mechanismus. Die Ergebnisse wurden in Nature veröffentlicht“, berichtet die Forscherin stolz (577(7790): 376–80).

Molekulare Antwort auf Insektizide

Ebenso hat sich Ingham per Transkriptom-Analyse angeschaut, wie exponierte und nicht-exponierte, multiresistente A. coluzzii molekular auf Pyrethroide reagieren. Zusammen mit Frank Dondelinger von der Universität Lancaster wertete sie diese Daten mit bioinfor­matischen Methoden aus und identifizierte so sechs Hauptregu­latoren der transkrip­tionellen Antwort auf Insektizide (Curr Res Insect Sci, 1: 100018). In einer in PLoS Genetics veröffentlichten Studie beschreiben Ingham und Co. dutzende Gene, die in Insektizid-resistenten im Vergleich zu empfänglichen A. coluzzii unterschiedlich stark exprimiert werden (17(12): e1009970).

„Ich habe auch gefunden, dass resistente Stechmücken einen höheren Grundumsatz haben. Wenn sie Insektiziden ausgesetzt werden, fällt ihre Atemfrequenz. Das spiegelt sich auch auf Transkriptions-Ebene wieder und es kommt zur Produktion von reaktiven Stickstoff- und Sauerstoffspezies. Das Immunsystem der Stechmücken wird aktiviert und sie werden so auch weniger von Plasmodien infiziert beziehungs­weise die Parasiten-Entwicklung wird gestört“, so Ingham.

Vier Doktoranden, eine TA

Seit Dezember 2020 ist die Forscherin mit ihrer Arbeitsgruppe Translationale Malaria-Forschung in Heidelberg tätig. Derzeit hat sie vier Doktoranden und eine Technische Assistentin. „Für die Gründung meiner Gruppe habe ich ein Junior­gruppen­leiter-Fellowship des DZIF erhalten. Die Abteilung vor Ort hat mich sehr unterstützt. Außerdem kann ich das Netzwerk des DZIF nutzen, das bundesweit über sieben Standorte und 35 Forschungs­einrichtungen verteilt ist“, berichtet Ingham. Ihr gefällt es, an einer großen Universität zu arbeiten. Ein großes Plus sei die neue Infectious Disease Imaging Platform (IDIP) gleich nebenan, die Mikroskopie auch unter erhöhten Sicherheits­standards ermögliche. „Mit den Geldern des ERC Grants werde ich einen Postdoc und einen weiteren Doktoranden oder Doktorandin einstellen“, kündigt sie an.

Eines ihrer Ziele ist die Entwicklung von Moskito­netzen der nächsten Generation, die neben Pyrethroiden mit einer weiteren Substanz – etwa einer, die die Übertragung der Plasmodien hemmt – beschichtet ist. Ingham arbeitet hierzu mit dem Epidemiologen Joacim Rocklöv vom Heidelberger Institut für Global Health zusammen, um zu modellieren, wie Veränderungen in der Entwick­lungszeit der Plasmodien die Übertragung beeinflussen. Auch BASF ist beteiligt. Ihre Kollabo­rations­partner in Burkina Faso konnte Ingham bisher wegen der SARS-CoV-2-Pandemie leider nicht selbst besuchen. Ein Besuch bei den Medizinischen Entomologen Antoine Sanou und Moussa Guelbeogo ist aber in diesem Jahr geplant.

Bettina Dupont

Bild: Universitätsklinikum Heidelberg


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Letzte Änderungen: 09.01.2023