Editorial

Plötzlich Politikberater

(20.02.2023) Dabei machten viele Virologen während der Corona-Pandemie eine gute Figur. Ihre offene Kommunikation wurde ihnen aber zum Nachteil ausgelegt.
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Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen ihr Kerngeschäft in der Forschung; hinzukommen an der Uni die Lehre und natürlich das Einwerben von Forschungs­geldern. Öffentlichkeits- und Pressearbeit übernimmt dagegen meistens eine Pressestelle, die in enger Abstimmung mit den Forschern arbeitet. Daneben können Forscher Vorträge halten, um der interessierten Öffentlichkeit die eigene Arbeit näherzu­bringen, oder sie geben Interviews darüber, etwa Journalisten und Journa­listinnen des Laborjournals. Dabei geht es in der Regel um den reinen Erkenntnis­gewinn; politische oder gesellschaftliche Belange spielen selten eine Rolle. Das Miteinander von Journalisten und Wissenschaftlern, die voneinander profitieren und sich gegenseitig brauchen, um der Öffentlichkeit ein anspruchs­volles Thema zu erklären, ist meist von Vertrauen geprägt.

Anders sieht es aus, wenn Forscher sich mit Themen beschäftigen, die einen direkten (und nicht unbedingt positiven) Einfluss auf das Leben vieler Menschen haben – und sich darüber in der Öffentlichkeit äußern. Genau das ist während der Corona-Pandemie passiert.

Editorial

Unverständnis und Kritik

In der Corona-Pandemie mussten Politiker plötzlich Entscheidungen treffen, die die Gesundheit von Millionen von Menschen betrafen und im schlimmsten Fall den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachten. Diese Entscheidungen basierten auf wissen­schaftlichen Fakten, die sie nicht im Detail verstehen konnten und die sich darüber hinaus schnell veränderten. In einem solchen Fall ist es sinnvoll, jemanden zu fragen, der sich auskennt. So wurden über Nacht Virologen und Epidemio­loginnen wertvolle Ansprech­partner und Beraterinnen.

Was das für die meist auf diese Rolle nur unzureichend vorbereiteten Akteure bedeutet hat, ließ sich in der Presse verfolgen: Experten wurden zum Teil massiv für ihre Stellung­nahmen angegriffen und insbesondere der offene Umgang mit der Tatsache, dass Forschung immer „Work in Progress“ ist, sorgte in der Öffentlichkeit für Unverständnis und Kritik. Ein spannendes Forschungsfeld für Sprach­wissenschaftler wie Kersten Sven Roth, Nina Janich und ihre Teams. Roth forscht an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg vorwiegend zu Politik- und Mediensprache, seine Kollegin von der TU Darmstadt hat einen ihrer Schwerpunkte in der Wissenschafts­kommunikation.

„Direkt zu Beginn der Pandemie 2020 haben wir beschlossen, den laufenden Corona-Diskurs unter dem Gesichtspunkt ‚live‘ zu untersuchen, wie die Wissenschafts­kommunikation einer Fachwissenschaft, die öffentliche Aufmerksamkeit nicht gewohnt ist, im Kontext prekärer politischer Entscheidungs­prozesse funktioniert“, erklärt Roth, der in Magdeburg die Arbeitsstelle für linguistische Gesellschafts­forschung leitet. Dabei handelt es sich um eine Forschungs- und Beratungs­einrichtung, die u. a. „Wissenschaft in der Öffentlichkeit“ als Profil-Schwerpunkt hat. Laut Roth war das Pandemie-Projekt dafür gewissermaßen ein proto­typisches Modellprojekt. „Die Annahme war, dass sich hier ‚unter dem Brennglas‘ beobachten lässt, was auch für andere politisierte Wissenschafts­diskurse (Gentechnik, Klimawandel usw.) gilt“, so der Linguist.

Brinkmann, Drosten et al.

Gemeinsam mit den Projekt­mitarbei­terinnen Sina Lautenschläger (Magdeburg) und Lisa Rhein (Darmstadt) untersuchten Roth und Janich über zwei Jahre lang das Spannungs­verhältnis zwischen Wissenschaft, Politik und Massenmedien: von November 2020 bis Frühjahr 2023 – der Hochzeit der Corona-Pandemie. Die Analysen konzentrierten sich auf neun während der Pandemie in der Öffentlichkeit besonders präsente Wissenschaftler, darunter Melanie Brinkmann und Christian Drosten. Neben Zeitungsartikeln, Presse­konferenzen und Interviews waren für die Studie vor allem Talkshows ergiebig, weil hier Politik, Wissenschaft und Medien direkt aufeinander­trafen.

Während Politikerinnen und Pressevertreter den Umgang miteinander gewohnt waren, waren die Forscher medial weitgehend unerfahren. So konnten die Sprach­wissenschaftler beobachten, ob und wie die Politik die Wissenschaft vereinnahmte und wie sich die Forschenden dagegen abgrenzten. „Im Fokus des Projektes standen die Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler, da diese quasi aus dem Elfenbeinturm, der Wissen­schaftsblase, hinausgetreten sind und Wissenschafts­kommunikation nun jenseits des sonst gewohnten Rahmens auf ‚rauer See‘, also im Angesicht massen­medialer und politischer Logik betreiben wollten und mussten“, erklärt das Projektteam in der Presse­mitteilung zur Studie („Zwischen Elfenbeinturm und rauer See – zum prekären Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik und seiner Mediatisierung am Beispiel der ‚Corona-Krise‘“).

Unterschiedlicher Umgang mit Unsicherheiten

Die unfreiwilligen Probanden seien anfangs sehr offen mit dem „bestehenden, aber überwind­baren Nichtwissen“, das ein Kennzeichen von Forschung ist, umgegangen. Von den Akteuren, die das nicht gewohnt waren – also Politikern und Medien­vertreterinnen – wurde das allerdings nicht positiv ausgelegt. Im Gegenteil: Die Politik habe Unsicher­heiten ausgenutzt, um Verantwortung abzugeben beziehungsweise fehlende politische Maßnahmen zu rechtfertigen, wird Lautenschläger zitiert. „Auch in der medialen Bericht­erstattung wurde diese transparente Kommunikation des Nichtwissens und eines bis dato unvollständigen Wissens­standes genutzt, um die Glaub­würdigkeit und den Nutzen von wissen­schaftlicher Forschung in Frage zu stellen.“

Nicht überraschend frustrierte das die Wissenschaftler. Während sie anfangs weitgehend Fakten dargelegt hätten, seien sie später dazu übergegangen, die Medienlogik zu bemängeln, die „die virologisch-epidemiologische Komplexität nicht nur drastisch reduziert darstellte, sondern auch Machtkämpfe zwischen den einzelnen Forschenden konstruierte und in den Vordergrund stellte.“ Ein wesentlicher Grund für die Irritationen sei, dass der „in der Wissenschaft geforderte, transparente Umgang mit Nichtwissen für Politikerinnen und Politiker ungewohnt und schwer auszuhalten sei“, fasst Roth zusammen. Die Politik wolle klare Antworten, die die Wissenschaft nicht geben könne.

Tipps für die Kommunikation

Deshalb sei es wichtig, dass künftig die unter­schiedlichen Rollen und Erwartungs­haltungen beider Akteurs­gruppen definiert werden. Die Wissenschaftler hätten die klare Abgrenzung zur Politik zwar immer gefordert, seien aber zum Teil sehr deutlich gedrängt worden, eine politische Bewertung abzugeben. Dadurch wurde ihnen große politische Entschei­dungsmacht zugeschrieben – eine Verantwortung, die die Experten oft nicht tragen wollten.

Da die meisten Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler den Studien­autoren zufolge auf ihre neue Rolle als Politikberater in Zeiten der Pandemie nicht ausreichend vorbereitet waren, werden die Linguisten in Kürze einige kurzgefasste Hinweise für die Praxis von Wissenschafts­kommunikation im politischen Kontext veröffentlichen, die auf ihren Beobachtungen beruhen. Den Corona-Experten bescheinigen sie übrigens eine eigentlich sehr gute Leistung: Sie hätten „während der Corona-Pandemie in den Massenmedien mehrheitlich sachlich und evidenz­orientiert kommuniziert, auf Dramatisierung weitgehend verzichtet und auf bestehende Wissens­lücken deutlich hingewiesen.“ Den Fallstricken medialer und politischer Logik konnten sie allerdings auch damit nicht immer entkommen.

Larissa Tetsch

Bild: ZDF/Harry Schnittger


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Letzte Änderungen: 20.02.2023