Editorial

Je länger, je lieber
und günstiger

(02.03.2023) Das Magdeburger Start-up-Projekt Eversyn stellt aktivierte Zucker über lange Enzymkaskaden her und zeigt: die Würze liegt nicht immer in der Kürze.
editorial_bild

Die unternehmerische Geschichte der Sachsen-Anhalter begann mit der Sicherung ihres Eigenbedarfs. „Wir brauchten aktivierte Zucker für unsere eigene Forschung. Diese sind jedoch sehr teuer“, schildert Thomas Rexer. Der Chemie­ingenieur ist Mitgründer des Start-up-Projektes Eversyn und dort zukünftig fürs Management und die sogenannten Regulatory Affairs zuständig. Außerdem leitet er die Arbeitsgruppe Synthetische Biotechnologie am Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg.

Bei der simplen Deckung des Eigenbedarfs blieb es jedoch nicht, wie er erzählt: „Bald haben wir dann die ersten Anfragen bekommen, ob wir nicht auch für andere Gruppen aktivierte Zucker herstellen können. Daher kam uns der Gedanke, die Idee zu kommerzialisieren“.

Editorial

Wertvoller als Gold

Doch was sind aktivierte Zucker eigentlich und wofür braucht man sie? Spricht man von den Molekülen, meint man in der Regel Nukleotid­zucker. Dabei handelt es sich um Zucker, die über zwei Phosphat­gruppen an ein Nukleotid angehangen sind. Aus den hochener­getischen Verbindungen lassen sich Polysaccharide herstellen, wie sie etwa in Säuglings­nahrung eingesetzt werden oder auch für Glycane an therapeutischen Proteinen.

„Das Problem war bisher, dass man aktivierte Zucker meist chemisch synthetisiert hat“, erklärt Rexer. Diese Verfahren seien sehr aufwendig und entsprechend teuer. Auch die derzeit verfügbaren enzymatischen Verfahren benötigen preisintensive, bereits prozessierte Ausgangs­stoffe, damit die Synthesewege kurzgehalten werden können. So variieren die Gramm-Preise für aktivierte Zucker zwischen 2.000 und 15.000 Euro. Zum Vergleich: für ein Gramm Gold werden nur mickrige 55 Euro fällig.

Länger ist billiger

„Wir haben den enzymatischen Syntheseweg stark verlängert, um günstige Ausgangs­stoffe verwenden zu können“, beschreibt der Chemie­ingenieur Eversyns Geschäftsidee. Ein Syntheseweg besteht dabei je nach gewünschtem Endprodukt aus fünf bis sechs verschiedenen Enzymen. „Diese stellen wir sehr günstig und in großem Maßstab rekombinant in E. coli her.“ Mit dieser Plattform­technologie ließen sich mit kleinen Änderungen in den verwendeten Enzymen und Ausgangs­stoffen unterschiedlichste aktivierte Zucker herstellen – und das etwa zu einem Hundertstel der aktuellen Preise.

Dafür müssen die Magdeburger ihre Produktion aber zunächst in einen größeren Maßstab übertragen. Hier zeigt sich Rexer jedoch zuversichtlich: „Wir arbeiten derzeit mit Bioreaktoren im 1-Liter-Maßstab. Die Enzymkaskade kann aber in einem beliebig großen Volumen ablaufen. Momentan testen wir bereits 5- und 10-Liter-Bioreaktoren.“

Zuckermuster aus dem Bioreaktor

Die aktivierten Zucker aus dem Hause Eversyn können jedoch nicht nur für die Herstellung von humanen Milchzuckern verwendet werden. Ein weiteres Geschäftsfeld der umtriebigen Magdeburger ist das sogenannte In-vitro-Glyco­engineering. „Mit unseren aktivierten Zuckern und den entsprechenden Enzymen können wir in vitro die Glycosylierung von Proteinen steuern. Man ist also nicht mehr auf eine bestimmte Zelllinie angewiesen und minimiert Schwankungen zwischen unterschiedlichen Ansätzen“, erläutert Rexer. So können beispielsweise Forschungs­gruppen eine Zelllinie mit hoher Produkt­ausbeute verwenden, ohne auf die Stimmigkeit der zelleigenen Glycosylierungs­muster zu achten.

Das Start-up-Projekt wird derzeit durch das EXIST-Programm gefördert und plant im Sommer dieses Jahres die Ausgründung aus dem Max-Planck-Institut. Dann wollen die Magdeburger auch gleich ihre aktivierten Zucker (wie etwa GDP-L-Fucose oder UDP-N-Acetyl-D-Glucosamin) zum Kauf anbieten. Unterdessen sucht die Gruppe um Rexer auch Projektpartner, um die Produktion von humanen Milch-Oligo­sacchariden und die In-vitro-Glycosylierung technisch weiterzuentwickeln. „Aktuell suchen wir zudem nach Investoren und sind jederzeit offen für neue Kontakte“, schließt Rexer ab.

Tobias Ludwig

Bild: Pixabay/955169


Weitere Biotech-Firmen im Porträt


- Einmal falten, bitte!

Plectonic Biotech will Krebszellen mit DNA-Origami an den Kragen. Vorher mussten die „tollkühnen Physiker“ aber lernen, mit Zellen zu arbeiten.

- Nerdige Namen und laufende Nasen

Das Jenaer Start-up Dynamic42 miniaturisiert und vereinfacht menschliche Organe wie Blutgefäße, Leber und Darm und packt sie auf einen Chip.

- „Eine extrem spannende Zeit“

… erleben gerade Verovaccines aus Halle. Mit modifizierter Milchhefe produzieren sie effektive und preiswerte Vakzine für Kuh, Schwein, Huhn und Co.

 



Letzte Änderungen: 02.03.2023