Warme Sprache
Forscher des Artificial Life Lab der Uni Graz sowie der Mobile Robotic Systems Group der École polytechnique fédérale de Lausanne (EFPL) Lausanne schwebte vor Augen, mit den Bienen zu kommunizieren, um ihr kollektives Verhalten zu erforschen. Temperatur ist jedenfalls biokompatibel und war die geeignete Sprache für diese Kommunikation. Zuallererst war aber wichtig zu wissen, was im Bienenstock bei welcher Temperatur genau vor sich geht.
Nun kann man einzelnen Bienchen kaum ein Fieberthermometer unter die Flügel klemmen. Vielmehr platzierten die Forscher in einem eigens konstruierten Bienenstock Temperatursensoren. Der Hightech-Bienenstock hat, analog herkömmlichen Exemplaren, herausnehmbare Rahmen, welche eine rechteckige Fläche aus Waben zwischen zwei Glasplatten halten. Insgesamt 64 Sensoren platzierten Thomas Schmickl von der Uni Graz und Kollegen in gitterartiger Anordnung mit jeweils ca. 3,6 cm Abstand zueinander in der Waben-Fläche (18 x 40 cm). Den zugehörigen Kabelsalat verstauten sie an der oberen Rahmenkante.
Bienen in der Traube
Der verwendete silikonbasierte Sensor (2 x 2 x 0,8 mm) findet in einer Wabenzelle (Durchmesser: ca. 5,5 mm, Tiefe: ca. 12 mm) locker Platz, ohne die Bienen merklich einzuschränken. Ein Überzug aus Acrylharz schützt die Sensoren vor dem Anknabbern. Über eine Microcontroller-Komponente sind die Sensorendaten (auf ein Zehntel Grad genau) abrufbar.
Die erfassten Temperaturdaten legten die Forscher anschließend mit den Bilddaten übereinander. Hierbei zeigte sich, dass sich aus der Temperaturverteilung auf die Position der Bienen rückschließen lässt. Sinken die Außentemperaturen auf 8 °C, sitzen die Bienen nicht mehr über die Waben verteilt im Bienenstock, sondern formieren sich zu einem ellipsoidförmigen Cluster, der sogenannten „Wintertraube“. Unmittelbar im Clusterzentrum ist es am wärmsten (27 °C), mit wachsender Entfernung wird es immer kühler (Kern: 21 °C) und kühler (Mantel: 15 °C).
Endotherme (gleichwarme) Bienen im Zentrum heizen mit Zitterbewegungen ihren Thorax. Ihre produzierte Wärme strahlt auf umliegende ektotherme (wechselwarme) Individuen ab. Der gute Heiz- und Dämmeffekt einer Wintertraube zeigt sich daran, dass sich Unterschiede in der Umgebungstemperatur kaum auf die Temperatur im Kern auswirken.
Schonender Standortwechsel
Drei Bienenkolonien á 4.000 Tiere in ihren Stöcken, platziert im Freien, standen im Winter 2020/21 mit Außentemperaturen zwischen -7 und +7°C unter Beobachtung. Welch wildes Treiben darin herrscht, ist unbedingt sehenswert. Noch spannender aber wird es, wenn sanfte, definierte Temperaturreize gesetzt werden. In den Rahmen mit den Waben verlegten die Forscher zwei Reihen mit je fünf kleinen Heizfeldern und schalteten jeweils ein Paar davon für drei Tage ein. Die Heizfeldtemperatur (25 °C) lag über jener im Clusterzentrum, um schonend und attraktiv für einen Standortwechsel zu sein.
Erst einmal tat sich ziemlich wenig. Doch nach einem halben Tag setzte sich das Völkchen in Bewegung. Die jeweiligen Cluster wanderten innerhalb von 5-25 Stunden zur beheizten Region und etablierten sich dort, bis dieses Heizfeld aus- und ein anderes eingeschaltet wurde. Die nötige Heizenergie hängt nicht nur von der Außentemperatur ab, sondern wird auch von den Bienen und ihrem Verhalten beeinflusst. Ist es wärmer, generieren die Bienen selbst weniger Wärme. Dank externer Beheizung sparten die Bienen über den 51-tägigen Beobachtungszeitraum 15 Prozent ihres Energiebedarfs. Phänomen Couchpotato.
Stilles Volk im Kälte-Koma
Aus ethischen Gründen verbietet es sich, Bienenvölker unerträglichen Temperaturen absichtlich auszusetzen. Eine natürliche Kältewelle kam den Forschern zugute, und ihr Heizroboter wurde zum Lebensretter. In einem der drei Bienenstöcke war aufgrund eines Befalls mit der Varroamilbe eine Behandlung mit Oxalsäure nötig gewesen. Offenbar hatte die Behandlung das Volk geschwächt, denn bald darauf wurde es still. Zu still, denn die endotherme Aktivität war ausgefallen, die Bienen gingen ins „Kälte-Koma“. Im Clusterinneren war es nicht sehr viel wärmer als am Clusterrand. Nach fünf Stunden griffen die Forscher ein, indem sie die Heizfelder aktivierten. Ein Großteil der Bienen blieb am Leben, auch noch Monate später.
Diese Reanimierung wäre für Imker, die immer wieder große Verluste einstecken müssen, eine feine Sache. Allerdings müssten sie immer beobachtend danebenstehen, um rechtzeitig reagieren zu können. Cleverer wäre es, wenn das Roboter-Biene-Hybridsystem ganz eigenständig interagiert. Die Bienen sagen, wann geheizt werden soll. Sie geben das Heizkommando. Beispielhaft haben Schmickl und Kollegen demonstriert, wie ein solches eigenständiges System funktionieren kann. Für den Fall, dass sich ein Bienencluster für mindestens 12 Stunden nicht vom Fleck bewegt, geht an anderer Stelle ein Heizfeld an. Daraufhin setzt sich das Völkchen in Bewegung, und das Spiel kann von Neuem beginnen.
Nebenbei warf das übergeordnete EU-Projekt „HIVEOPOLIS – Bienenstock der Zukunft“ noch eine interessante Erkenntnis ab: Individuelle Thermotaxis, wonach jedes Tier einfach in sein Vorzugsgebiet wandert, spielt bei Bienen keine Rolle. Vielmehr kundschaften Individuen in Zufallsbewegungen die Clusterumgebung aus und nehmen vorübergehendes Frieren in Kauf. Mehrere Male hatten die Forscher beobachtet, dass ein Bienencluster an einen neuen, wärmeren Standort wechselte und auf dem Weg dorthin lokale Temperaturminima passieren musste.
Andrea Pitzschke
Barmak R. et al. (2023): A robotic honeycomb for interaction with a honeybee colony. Sci Robot, 8(76):eadd7385.
Bild: Artificial Life Lab/Universität Graz/Hiveopolis
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