Editorial

Wenn eine RNA
das Geschlecht bestimmt

(26.05.2023) Seidenspinner-Männchen spinnen edlere Fäden als die Weibchen. Doch wie der Seidenspinner-Mann überhaupt zum Manne wird, ist etwas komplex.
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Manche Dinge können Männer einfach besser. Oftmals lassen schon die reinen Fakten keinen Zweifel daran.

Fragen Sie etwa mal den Betreiber einer Seidenspinner-Farm. Der wird Ihnen klar sagen: „Sicher, sowohl männliche wie auch weibliche Larven wickeln sich zur Verpuppung in einen Seidenkokon. Doch nur das Schmetterlings-Männchen produziert dazu die hochedlen, langen Seidenfäden.“ 

Dreimal dürfen Sie nun raten, welches wohl das höchste Begehr eines kommerziellen Züchters von Edel-Seidenspinnern der Art Bombyx mori sein dürfte. Richtig, dass aus ihren Bombyx-Eiern weitgehend Männchen schlüpfen.

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Wo ist das Master-Gen?

Die Natur tut ihnen diesen Gefallen natürlich nicht. Das eine oder andere Forscherteam dagegen wurde hellhörig – und sagte sich: „Okay, warum schauen wir uns die Sache nicht mal an.“ Und siehe da, schon bei der Eingangsfrage, was den Bombyx-Mann überhaupt zum Manne macht, wurde die Sache schnell interessant ...

Bekannt war bereits, dass es mit den Spinnern wie bei Vögeln und Reptilien läuft – also anders herum als bei uns: Männchen haben mit zweimal Z zwei gleiche Sex-Chromosomen, Weibchen dagegen mit einmal Z und einmal W zwei verschiedene. Und wie bei vielen anderen dieser Organismen ist auch hier das W-Chromosom dominant. Das heißt, die Anwesenheit eines W-Chromosoms reicht aus, um aus dem Bombyx-Embryo ein Weibchen zu machen. 

Damit schien auch weiterhin klar: Irgendwo auf dem W-Chromosom sitzt ein Master-Gen, dessen Produkt die gesamte Entwicklungskaskade zum weiblichen Schmetterling anwirft. Genau wie bei anderen Tieren mit analogem Geschlechts-bestimmenden System. Und mit den heutigen High-End-Methoden müsste man Bombyx’ potenzielles „Frauenmacher-Gen“ doch im Nu aufspüren können ...

Es ist eine RNA!

Weit gefehlt. Insbesondere eine japanische Gruppe drehte das Bombyx-W-Chromosom durch alle möglichen molekularbiologischen Mühlen – und fand nichts. Mehr noch, sie fanden überhaupt keine Protein-codierenden Gene darauf. Stattdessen entpuppte sich das Bombyx-W-Chromosom als übersät mit Transposon-Sequenzen. Die einzigen transkribierten W-Sequenzen, die die Japaner fanden, kodierten für sogenannte PIWI-interacting RNAs (piRNAs).

Diese 2006 entdeckte RNA-Familie kannte man bis dahin nur aus Keimzellen, wo sie deren Entwicklung durch Bindung an die PIWI-Proteine maßgeblich mitsteuern. Am Ende blieb also nichts anderes übrig, als sich dem Gedanken zu stellen, dass womöglich eine RNA statt eines Transkriptionsfaktors die Bombyx-Frau zur Frau macht. 

Und so sollte es sich tatsächlich herausstellen: Eine Gruppe aus Tokio publizierte mit dem Bombyx-Mechanismus das erste RNA-gesteuerte Geschlechtsbestimmungssystem überhaupt (Nature 509: 633-6). Demnach produziert Bombyx aus einem W-kodierten piRNA-Vorläufer eine RNA namens Fem (für „Feminizer“). Fem legt seinerseits die mRNA des Z-kodierten Gens Masculinizer (Masc) still, woraufhin sich das Spleißmuster des Gens B. mori doublesex (Bmdsx) komplett zur weiblichen Variante verschiebt. Ohne Fem-Blockade sorgt Masc für die Herstellung der männlichen Bmdsx-Spleißvariante.

Auf den Zeitpunkt kommt's an

Bmdsx fungiert somit als tatsächlich exekutiver Schalter zwischen den Geschlechtern. Kritisch ist dabei vor allem, welche der beiden Spleißvarianten im Zeitfenster von 18 bis 21 Stunden nach der Eiablage im Bombyx-Embryo dominiert.

Womit wiederum klar wäre, was die Seiden-Hersteller sich nun wünschen: Einen Fem-Hemmstoff, den sie den Embryos vorher verabreichen können.

Ralf Neumann

(Foto: P. Gibellini)

 

 

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Letzte Änderungen: 24.05.2023