Editorial

Pathologische Parallelen

(24.07.2023) Sogenannte „Gallenbären“ sind nierenkrank, fettleibig und haben einen hohen Blutdruck. Sind sie ein neues Modell für die beschleunigte Alterung?
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Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung sei dank, kennt der Kurs von Volkskrankheiten wie chronische Nierenschwäche und Herz-Kreislauf- und Gelenk­erkrankungen nur eine Richtung: nach oben. Wer vorzeitig altern will, lümmelt sich aufs Sofa und wartet auf den Burger-Boten. Ob und inwieweit sich bei einem verhaltens­bekehrten Patienten Alterungs­prozesse aufhalten und ihre Schäden rückgängig machen lassen, muss der mehr oder minder detailliert untersuchte Einzelfall zeigen.

Von 42 Einzelfällen (12-17 Jahre) liegen Langfrist-Daten vor. Nur sind diese Fälle keine Menschen, sondern Asiatische Schwarzbären oder Kragenbären (Ursus thibetanus), welche von der Tierschutz­organisation Vier Pfoten aus engen Käfigen gerettet und mit artgerechter Nahrung aufgepäppelt wurden. Unter Federführung der Veterinär­medizinischen Universität Wien bzw. Johanna Painer-Gigler vom Forschungs­institut für Wildtierkunde und Ökologie hat ein internationales Forscherteam die Tiere vor Ort, in Vietnam, untersucht.

Editorial

Wirkstoff in Gallensaft

Seit 1980 werden in Ost- und Südostasien sogenannte „Gallenbären“ gezüchtet, davor jagte man Wildbären. Geschätzten 17.000 Zuchttieren wird regelmäßig der Gallensaft abgezapft, welcher in der Traditionellen Chinesischen Medizin Leber- und Augen­beschwerden lindern soll. Der darin enthaltene Steroid-Wirkstoff Urso­deoxy­cholsäure (UDCA) kommt auch in der westlichen evidenz­basierten Medizin zur Auflösung von kleinen Gallensteinen und bei diversen Leber­erkrankungen zum Einsatz – jedoch partiell synthetisch hergestellt.

Grausam ist das Prozedere, das die Bären tagein tagaus in nicht-betäubtem Zustand und unter meist unsterilen Bedingungen erleben. Eine Nadel, blind angesetzt oder per Ultraschall durch die Bauchdecke geführt, punktiert ihre Gallenblase. Dass Tiere häufig chronische Leber- und Gallenblasen-Erkrankungen entwickeln, weiß man längst. Die Wiener Forscherinnen schauten sich nun an, was genau in den über zehn Jahre geschundenen Körpern vor sich geht.

Schlechte Haltung, chronischer Stress

Zu drei Zeitpunkten – nämlich unmittelbar nach Rettung, nach zweimonatiger Behandlung mit Choleretika (Arzneistoffe, die die Leberzellen zu vermehrter Sekretion von Galle anregen) sowie bedarfsweise Antibiotika und nach weiteren sechs Monaten – führte das Forschungsteam Blutdruck­messung, Galle-, Blut- und Urinprobe-Analysen, Muskel- und Skelett- sowie Ultraschall-Untersuchungen von Leber und Herz durch. Dabei zeigten sich frappierende Parallelen zu Entzündungs- und Immun­seneszenz-induzierten Zuständen beim Menschen. „Chronische Entzündungen in Verbindung mit schlechter Haltung und chronischem Stress scheinen das Risiko für die Entwicklung degenerativer Krankheiten, chronischer Nieren­erkrankung und beeinträchtigter Herz-Kreislauf-Funktion zu erhöhen. Diese Störungen sind ein Anzeichen beschleunigter Alterung“, so Erstautorin Szilvia K. Kalogeropoulu in einer Pressemitteilung.

Die befreiten „Gallenbären“ könnten demnach als Modell beschleunigter Alterung der Medizin einen Dienst erweisen. Spannend wäre hierfür insbesondere, worin sich besser oder schlechter genesene Bären unterscheiden. Fünf Wildbären standen als Kontrolle zur Verfügung, was zwar suboptimal hinsichtlich Anzahl und Alter (6-7 Jahre) war, sich jedoch mit publizierten Bärendaten abstützen ließ.

Auffälliges Ultraschall

Bei der Erstuntersuchung hatten alle 42 „Gallenbären“ eine verdickte Gallen­blasen­wand und eine Gallenblasen-Entzündung (Cholecystitis). Letztere war bei mehr als der Hälfte der Tiere auf eine Infektion mit Bakterien, vor allem Enterococcus spp., Streptococcus spp und E. coli, zurückzuführen. Die Mehrheit der Tiere (37 von 42) zeigte außerdem Auffälligkeiten bei Ultraschall-Untersuchungen der Leber, und zwar primär jene Bären, bei denen eine bakterielle Gallenblasen-Infektion vorlag.

Beim zweiten Gesundheits­check hatte die Verdickung der Gallen­blasen­wand generell deutlich abgenommen. Sie war jedoch bei Tieren, bei denen trotz Antibiotika die Infektion nicht behoben werden konnte, dicker als bei den infektions­losen Tieren. Tiere mit einer bakteriellen Cholecystitis zeigten außerdem erhöhte Kreatinin-Spiegel, Hinweise auf eine ungenügende Nierenfunktion und somit chronische Nieren­erkrankung. Des Weiteren fanden die Wildtier­medizinerinnen bei diesen Tieren Zeichen einer sarkopenen Adipositas, charakterisiert durch eine niedrige Muskel- und hohe Fettmasse. „In Menschen sind Muskelschwund und Fettleibigkeit mit einem chronischen pro-entzündlichen Zustand assoziiert, der metabolische Prozesse beeinträchtigt“, so die Autoren.

Dass Muskelschwund bei haltungsbedingtem Bewegungsmangel, nicht jedoch beim ganz normalen Winterschlaf einsetzt, beruhigt. Gelegentlich ein Stündchen auf der Couch ist demnach zulässig.

Andrea Pitzschke

Kalogeropoulu S. et al. (2023): Formerly bile-farmed bears as a model of accelerated ageing. Sci Rep, 13:9691

Bild: Pixabay/dianakuehn30010


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Letzte Änderungen: 24.07.2023