Neues Internetportal und Telefonhotline
Der Bundesverband Hochschulkommunikation und die gemeinnützige Organisation „Wissenschaft im Dialog“ haben das Notfallportal SCICOMMsupport eingerichtet, um angefeindeten und durch Hassrede bedrohten Wissenschaftlern ganzjährig Hilfestellung bieten zu können. Eine Beratungshotline ist täglich von 7 bis 22 Uhr erreichbar. Ein Leitfaden empfiehlt Betroffenen, zusätzlich die Kommunikationsabteilung der eigenen wissenschaftlichen Einrichtung zu kontaktieren und Kolleg:innen miteinzubeziehen. Auch das eigene Umfeld könne Unterstützung bieten. „Ist die Bedrohungslage konkret und akut, sollte diese nicht öffentlich gemacht werden. Verständigen Sie umgehend die Sicherheitsbehörden“, heißt es im Leitfaden.
Im Falle von digitalen Angriffen rät die Initiative zu Gegenrede, Versachlichung und Fürsprache in den Sozialen Medien. Strafrechtlich relevante Posts und Hasskommentare wie Beleidigungen, Verleumdung, üble Nachrede oder Volksverhetzung können über die Online-Wachen der Polizei eingereicht werden. Rechtswidrige Inhalte müssen nach Meldung von den Plattformbetreibern gelöscht werden. Auch das Ignorieren der Angriffe ist eine Strategie, um keine weiteren fiesen Verbalattacken herauszufordern – ganz nach dem Motto „Don’t feed the troll“.
Wissenschaftler als Projektionsfläche
„Letztlich geht es bei Hassrede um alle Formen verbaler Angriffe, bei denen sich die Kritik nicht gegen inhaltliche Positionen und Aussagen richtet, sondern gegen die Person eines Wissenschaftlers oder einer Wissenschaftlerin selbst. Es steht nicht mehr die Kontroverse über Inhalte im Vordergrund, sondern das Ziel ist es, Forschende mundtot zu machen oder zum Rückzug aus der Öffentlichkeit zu zwingen“, kommentiert Karl Rijkhoek, Leiter der Stabsstelle Hochschulkommunikation der Universität Tübingen.
„Mit Blick auf digitale Gewalt, zum Beispiel in den Sozialen Medien oder in E-Mails, reicht die Bandbreite von abfälligen Äußerungen zur Qualität der Forschung und dem Anzweifeln von Aussagen und Motiven der Institution, über Shitstorms und organisierte Troll-Kampagnen, bis hin zu menschenverachtenden Beschimpfungen. Letzteres stellt bisher glücklicherweise eine Ausnahme dar“, berichtet Rimma Gerenstein, Pressesprecherin der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. „Eine weitere Ausprägung: Wissenschaftlich unstrittige Fakten und Prozesse sowie Personen, die diese vertreten, sollen delegitimiert und deskreditiert werden. Ihnen wird quasi das Recht auf Teilnahme am öffentlichen Diskurs abgesprochen“, erklärt sie.
Leben wir in einer zunehmend intoleranten, wissenschaftsfeindlichen Gesellschaft? Wünschen manche Menschen keine „überflüssigen Belehrungen“ aus dem Elfenbeinturm und führen ihr Leben lieber so, wie es ihnen selbst gefällt? Sind manchen Menschen Forschung, Medizin, Pharmaindustrie, Gentechnologie und Impfungen grundsätzlich suspekt? Oder lehnen sie Akademiker ab und lassen sich „von denen“ generell nichts sagen? Es sieht so aus, als dienten Wissenschaftler in Zeiten gesellschaftlicher Konflikte als Projektionsfläche, was sie vereinzelt zur Zielscheibe von Hassgefühlen und Frustrationen macht.
Mehr gesellschaftliche Konfliktthemen
„Wir haben an der Universität Tübingen nach meiner Beobachtung in den vergangenen Jahren nur in Einzelfällen verbale Angriffe auf Forschende erleben müssen. Körperliche Angriffe sind mir nicht bekannt“, so Rijkhoek. „Wenn es zu Verbalangriffen kam, dann in Zusammenhang mit konfliktbehafteten Themen. Wenn es hier eine Zunahme gab, dann nach meiner Einschätzung deshalb, weil die Zahl konfliktbehafteter Themen, die in der Gesellschaft diskutiert werden, zugenommen hat.“
Die Universität Tübingen ermutigt und fördert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich zu ihren Forschungsthemen in der Öffentlichkeit äußern möchten. „Dazu gehört ein breites Unterstützungs- und Schulungsangebot, das Forschende auf allen Karrierestufen nutzen können“, erläutert der Stabsstellenleiter. „Darüber hinaus stehen in den Fakultäten die Vertrauensleute für gute wissenschaftliche Praxis als erste Ansprechpartner zur Verfügung, wenn Forschende sich Angriffen in der Öffentlichkeit ausgesetzt sehen. Zudem können sich betroffene Forschende jederzeit an das Rektorat der Universität oder an die Hochschulkommunikation wenden.“
Gesenkte Hemmschwellen durch Anonymität
„Verbale Angriffe auf Wissenschaftler:innen und -kommunikator:innen der Universität Hohenheim beschränken sich in der jüngeren Vergangenheit unserer Kenntnis nach auf Einzelfälle, zum Beispiel beleidigende Social-Media-Kommentare, E-Mails oder Briefe. Tätliche Angriffe sind uns nicht bekannt“, berichtet auch Florian Leonhardmair, stellvertretender Leiter der Stabsstelle Presse, interne Kommunikation und Social Media. „Unser Eindruck ist jedoch, dass die Problematik insbesondere durch die Sozialen Medien eine neue Qualität gewonnen hat. Die Möglichkeit, sich anonym vor einem großen Publikum zu äußern, ohne sich mit den angesprochenen Personen von Angesicht zu Angesicht auseinandersetzen zu müssen, hat in unserer Wahrnehmung zu einer Senkung von Hemmschwellen geführt“, fügt er hinzu.
Seine Stabsstelle berät Wissenschaftler:innen und Kommunikator:innen bei allen Krisenthemen persönlich oder vermittelt bei Bedarf weitere Kontaktstellen, zum Beispiel SCICOMMsupport. „Zugleich ist uns ein wichtiges Anliegen, proaktiv tätig zu sein. Bei kontroversen Themen wie zum Beispiel Tierversuchen setzen wir auf Transparenz. Dazu tauschen sich die Akteure an der Universität regelmäßig untereinander aus und vernetzen sich auch mit bundesweiten Initiativen wie ‚Tierversuche verstehen‘. Mit dieser Transparenz haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht“, berichtet Leonhardmair. „Wenn notwendig, stärkt auch die Universitätsleitung Forschenden bei kontroversen Forschungsthemen den Rücken.“
Zunahme von Verbalattacken
„Nach unseren Erfahrungen haben verbale Angriffe, vor allem im digitalen Raum, und unsachliche Konflikte in den vergangenen Jahren eher zugenommen“, berichtet Rimma Gerenstein von der Universität Freiburg. „Grundsätzlich ist zu beobachten, dass der digitale Raum eine Enthemmung befördert hat: Alle können sich direkt und anonym äußern, die Kommunikation kann durch Fake-Accounts und fehlende Face-to-Face-Interaktion erfolgen. Auch im Rahmen der Coronapandemie haben wissenschaftsfeindliche Angriffe zugenommen“, erläutert die Pressesprecherin. „Während sich früher Angriffe eher auf einzelne Personen konzentrierten, weiten sie sich inzwischen auch auf ganze Themenbereiche aus, sodass zum Beispiel Tatsachen zur Corona- und Klimakrise geleugnet und abgewertet werden.“
Die Universität Freiburg bietet Betroffenen und Ratsuchenden unterschiedliche fachliche Anlaufstellen an. „Hierzu gehören vor allem die Abteilung Hochschul- und Wissenschaftskommunikation mit professionellen, in Krisenkommunikation geschulten Kommunikator:innen sowie ergänzend das Justiziariat mit juristischer Expertise. Außerdem das Büro der Gleichstellungsbeauftragten, wo ein Fokus auf Cybergewalt liegt, sowie der psychosoziale Beratungsdienst mit Psycholog:innen bzw. Psychotherapeut:innen. Auch das Bedrohungsmanagement kann konsultiert werden“, so Gerenstein.
„Zudem werden an der Universität Freiburg derzeit unterschiedliche Unterstützungsangebote zu Wissenschaftskommunikation zu einem Weiterbildungsprogramm ausgebaut. Wissenschaftler:innen sollen damit die Möglichkeit haben, sich auf diesem Gebiet umfassend zu qualifizieren. Dazu gehört auch der Umgang mit digitaler Gewalt, Wissenschaftsfeindlichkeit und Hassrede.“
Nützliches, ergänzendes Angebot
„Wir sind selbst Mitglied des Bundesverbands Hochschulkommunikation und begrüßen die Initiative sehr“, so Leonhardmair zum Angebot SCICOMMsupport. „Die Berater:innen des SCICOMMsupport sind alle Kommunikator:innen an Hochschulen. Die beiden Träger der Plattform haben einen sehr guten Überblick über die Entwicklungen an den Universitäten und anderen Wissenschaftseinrichtungen im deutschsprachigen Raum und reagieren mit diesem Angebot auch auf die in den vergangenen Jahren entstandenen Bedarfe“, kommentiert Gerenstein.
„Das Angebot von SCICOMMsupport schließt vor allem eine Lücke für Forschende, die an kleineren Einrichtungen tätig sind, die zum Teil über keine leistungsstarken Abteilungen für Wissenschafts- und Hochschulkommunikation oder andere Strukturen zur Unterstützung in Konfliktsituationen verfügen“, so Stabsstellenleiter Rijkhoek.
Bettina Dupont
Bild: Pixabay/alanajordan
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