Editorial

„Ich wollte meine Träume verwirklichen“

(14.09.2023) Stratagene, Clontech, BioCat – Wir sprachen mit Biotechnologie-Urgestein Michael Ehret über seine Karriere und seine neue Firma Nucleus Biotech.
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Sie sind 1986 nach Ihrer Doktorarbeit in die Biotech-Industrie eingestiegen. Was hat Sie daran gereizt?
Michael Ehret: Mich haben Methoden und Technologien interessiert. Ich wollte etwas über Anwendungen für die Molekularbiologie lernen. Das Verkäuferische und das Marketing haben mich gereizt, das heißt Methoden auch erklären, anbieten und verkaufen zu können. Im Labor beschäftigt man sich jahrelang mit einer ganz speziellen Fragestellung. Ich wollte breiter aufgestellt sein. Kits waren damals noch nicht üblich. Ich habe darin Potential für einen großen, neuen Markt gesehen.

Sie waren zuerst bei Stratagene tätig. Welche Erfahrungen konnten Sie bei dieser Firma machen?
Ehret: Stratagene hat damals Mitarbeiter in Heidelberg gesucht. Die Firma war eine der innovativsten Biotech-Firmen und hatte die besten Marketing­leute. Ich wurde erst einmal für vier Wochen nach San Diego geschickt, um Methoden zu lernen. Kalifornien im Dezember war natürlich eine tolle Sache. Ich war zunächst für den Tech Support und dann für das Marketing in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Indien zuständig. Damals hat man dazu noch viel telefoniert und Kunden­zeitschriften und Flyer mit der Post verschickt. Die Hauptprodukte waren Packaging-Extrakte für Lambda-Bibliotheken, aber auch cDNA-Synthese­kits und Geräte wie ein UV-Crosslinker für Blots und ein Video­dokumen­tations­system. Die Firma hat dann den Standort von Heidelberg in die Niederlande verlegt und wurde schließlich an Agilent verkauft. Mitarbeiter von Stratagene USA hatten mittlerweile Invitrogen gegründet.

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Sie selbst sind dann 1995 zu Clontech in Heidelberg gegangen. Inwieweit konnten Sie hiervon profitieren?
Ehret: Clontech hatte sich zu einer innovativen Firma entwickelt und suchte einen Geschäftsführer für die neue deutsche Niederlassung Clontech Laboratories GmbH. Als Geschäftsleitung, die US-amerikanischen Gesellschaftern berichtet, hatte ich fünf Jahre lang eine interessante, aber auch fordernde und aufreibende Tätigkeit. Ich habe gelernt, fortlaufend Forecasts zu machen und mit Zahlen umzugehen. Ich konnte mich mit der Einstellung und Führung von Mitarbeitern sowie steuerlichen Regeln vertraut machen. In meiner sehr erfolgreichen Zeit bei Clontech ist die deutsche Niederlassung von drei auf 23 Mitarbeiter gewachsen. Diese Zeit war eine Investition in meine Zukunft. Ohne diese Kenntnisse hätte ich es mir nicht zugetraut, eine eigene Firma zu gründen.

Wie kam es dann im Jahr 2000 zur Gründung der BioCat GmbH?
Ehret: Wir haben bei Clontech mit Hochdruck auf einen Börsengang hingearbeitet. Dann wurde Clontech überraschend an Becton Dickinson verkauft, deren Geschäftsfelder zu dieser Zeit nicht zum molekular­biologischen Portfolio von Clontech passten. Weiterhin wollte ich als geschäfts­führender Gesellschafter die Geschicke meiner eigenen Firma bestimmen und das unternehmerische Denken selbst umsetzen. Mit der BioCat GmbH konnte ich selbst analysieren, welche Produkte die Kunden brauchen und habe versucht, diese an Land zu ziehen und zu verkaufen. Dabei kam mir zugute, dass viele ehemalige Mitarbeiter von Clontech in den USA selbst gründeten. Mit meiner neuen Firma BioCat GmbH konnte ich dann mit einigen dieser neu gegründeten Firmen Verträge schließen.

Sie waren fast 20 Jahre Manager der BioCat GmbH. Welche Erfolge und Rückschläge gab es?
Ehret: Die Kunden von BioCat sind vor allem Grundlagen­forscher. Die Preise der Produkte liegen größtenteils im Bereich von hunderten Euro und der Online-Vertrieb ist von entscheidender Bedeutung. Hier ist es wichtig, dass das Produkt in Google gut gefunden wird, Informationen auf der Website vorhanden sind und instruktive Protokolle herunter­geladen werden können. Zu Beginn hatten wir zwei Mitarbeiter, dann vier. Zeitweise waren wir von einem Lieferanten zu stark abhängig. Nachdem dieser sein Geschäfts­konzept geändert und keine Forschungs­reagenzien mehr geliefert hat, mussten wir wieder auf zwei Mitarbeiter schrumpfen. Daraus haben wir gelernt, dass man auf mehreren Beinen stehen muss. Bis 2017 ist BioCat dann auf über 20 Mitarbeiter gewachsen und hat über zwei Millionen Produkte von mehr als 50 Lieferanten vertrieben, war also sehr erfolgreich. Ein Großteil der Arbeit bestand darin, die Produkte und meist kunden­bezogenene Preise zu pflegen. Am Ende habe ich die direkten Kundenkontakte, die Nähe zu Technologien und Methoden und zur Technologie­entwicklung vermisst.

Wie hat sich die BioCat GmbH weiterentwickelt?
Ehret: Ich habe mich 2017 mit den anderen beiden Gesellschaftern geeinigt, BioCat zu verkaufen. Ich bin dann noch zweieinhalb Jahre geblieben, auch aus vertraglichen Gründen. Der Käufer kam aus dem Geräte- und Reagenzien­bereich und hat das Portfolio entsprechend sehr gut weiterentwickelt. Die Firma ist weiterhin sehr erfolgreich.

Sie haben 2020 eine weitere Firma, die Nucleus Biotech GmbH gegründet? Hat Sie das Unternehmervirus nicht losgelassen?
Ehret: Ich wollte nochmals meine Träume verwirklichen. Um Geld ging es mir nicht. Wir wollen mit der Nucleus Biotech GmbH eine Marktnische für Hightech-Dienstleistungen und -methoden erschließen. Der Markt hat sich stark entwickelt und ich möchte Teil des Ganzen sein. Wir haben vor allem Firmen und große Forschungs­einrichtungen als Kunden, die sich für diese höherpreisigen und beratungs­intensiven Produkte und Dienstleistungen interessieren. Wir sind mehr in die Anwendung für Therapie und Diagnostik involviert als bei BioCat und betreiben das Marketing vorwiegend über direkten Kundenkontakt, sehr häufig mittels Webinars und Online-Meetings. Manche Kunden haben inzwischen ja noch nicht einmal mehr Zugang zu einem Telefon.

Welche Technologien sowie Standardprodukte und Dienstleistungen bietet die Nucleus Biotech GmbH an?
Ehret: Zu unseren Angeboten zählen derzeit RNAi- und CRISPR-Bibliotheken für Screening­zwecke mithilfe von Lentiviren, Library-Prep-Kits und Bioinformatik­services fürs Next Generation Sequencing sowie DNA-Synthese und DNA-Engineering. Für die Lagerung der Lentiviren haben wir übrigens vor Ort ein S2-Labor.

Wie kommen Sie mit Ihren internationalen Kollaborations­partnern zusammen?
Ehret: Wir suchen aktiv geeignete, interessante Produkte und Lieferanten über Technologie-Scouting. Wir fragen unser Kundennetzwerk: „Was wird gebraucht? Wo sind die Kunden bisher nicht zufrieden? Bringen die Produkte einen Kostenvorteil?“. Manche interessanten Lieferanten kommen auch zu uns. Persönliche Kontakte helfen sehr bei der Akquise, zum Beispiel auf internationalen Kongressen wie dem AACR Meeting. Wir können Vertrieb für Deutschland, die Schweiz und Österreich anbieten.

Sind Sie auch aktiv in Projekte involviert?
Ehret: Ja, auf der Marketingebene. Zum Beispiel mit der Heidelberg Biolabs GmbH, einer Ausgründung des Deutschen Krebs­forschungs­zentrums (DKFZ), die sich mit dem Thema Liquid Biopsies beschäftigt. Wir beraten aus Kundensicht, wie Protokolle zur Analyse kleiner, zirkulierender RNAs noch weiter optimiert werden können und wie neue NGS-Kits und -Services entwickelt und an den Markt angepasst werden können. Auch den gesamten Vertriebs- und Logistik­aufwand haben wir für die Heidelberg Biolabs GmbH übernommen.
Es war schon immer ein Jugendtraum von mir, neue Technologien aus Deutschland zu vermarkten. Auf dieser Ebene können wir nachhaltiger agieren, als wenn wir lokaler Vermarktungs­partner eines Unternehmens auf der anderen Seite des Atlantiks sind. Wir können mehr Einfluss auf Kosten, Preis und Marktstrategie nehmen und selbst Vermarktungs­partner in anderen Ländern suchen. Zu meiner Anfangszeit bei der BioCat GmbH waren die Technologie­transferbüros in Deutschland nur wenig kooperativ und haben uns als Anbieter im Reagenzien­markt keine Priorität eingeräumt, sodass wir auf Partner aus den USA angewiesen waren.

Gibt es weitere Projekte vor Ort?
Ehret: An unserem jetzigen Standort im Business Development Center Heidelberg teilen wir mit anderen Firmen die Küche und die Meetingräume, sozusagen wie in einer Wohngemeinschaft. Dadurch ergeben sich viele Kontakte. Mit der Badischen Proteine & Peptide GmbH haben wir eine Kooperation bei der Vermarktung eines Peptid-basierten Transfektions­reagenz begonnen. Das Start-up stellt darüber hinaus biotechnologisch Proteine und Peptide her, reinigt sie ohne organische Lösungsmittel auf und betreibt Proteinanalytik.

Wie viele Mitarbeiter hat Ihre Firma derzeit?
Ehret: Wir haben bei der Nucleus Biotech GmbH drei Mitarbeiter. Das Ziel ist es, größer zu werden. Interessant sind für uns Bewerber, die sich mit den neuesten Tricks im Online-Marketing auskennen, deutschsprachig und in Molekularbiologie und Bioinformatik versiert sind. Kandidaten sollten die Produkte und den deutsch-schweizerisch-österreichischen Markt verstehen.

Welche Unterstützung haben Sie bei Ihren Gründungen erhalten oder gesucht?
Ehret: Meine beiden Unternehmens­gründungen erfolgten privat. Ich wollte nicht abhängig sein und Forderungen Dritter erfüllen müssen. Es musste also innerhalb eines Jahres ein profitables Geschäft generiert werden. Wenn man Vertrieb macht, muss man nicht in Forschung und Entwicklung investieren. Die Hauptinvestition erfolgt in IT-Ausstattung, die Website und das Online-Marketing. Ich habe allerdings für die Gründung der Nucleus Biotech GmbH beim Arbeitsamt Mannheim Gründungs­zuschuss beantragt und mich beraten lassen. Dazu kann ich nur raten, da man bei einer Gründung viel Bürokratie erledigen muss. Ich habe einen kleinen Lehrgang absolviert und vom Gründungs­berater Tipps erhalten. Obwohl ich ein erfahrener Unternehmer bin, konnte ich noch etwas lernen. Für mich war bei meinen Gründungen auch mein Netzwerk sehr wichtig. Generell sollte man bei allem, was man als Unternehmer tut, überlegen, ob eine Investition wirklich sinnvoll ist und Profitabilität und Nachhaltigkeit im Blick behalten.

Welche Vorteile hat eine Laufbahn als Dienstleister aus Ihrer Sicht?
Ehret: Forschung und Entwicklung benötigen hohe Investitions­kosten und die Entwicklung eines neuen Medikaments braucht viele Jahre. Im Marketing kann man von Anfang an Geld verdienen, wenn auch nicht Millionen. Man kann auch kleinere Brötchen backen und sein Unternehmen nachhaltig aufbauen. Die Erfolge im Marketing treten schneller ein als in Forschung und Entwicklung. Man kann mit seiner eigenen Firma autark sein, eigene Ideen umsetzen und sich mit den Kunden treffen und sie umfassender beraten als dies ein fokussierter Spezialist könnte. Letztlich ist es eine Mentalitätsfrage, was einem mehr liegt.

Das Interview führte Bettina Dupont

Bild: Nucleus Biotech GmbH (Porträt M. Ehret) & Erin Rod (CC BY 4.0, via Wikimedia Commons)


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Letzte Änderungen: 14.09.2023