Editorial

Ehrenkodex für
Wissenschaftler

(25.09.2023) Wer von der DFG Förderung möchte, muss Leitlinien zur guten wissenschaftlichen Praxis vorweisen. Das Berliner MDC hat seine gerade aktualisiert.
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Rund ein Viertel­jahrhundert ist es her, dass der bislang größte Betrugsskandal der biomedizinischen Forschung in Deutschland aufgedeckt wurde: In 94 Publikationen im Umfeld des Onkologen Friedhelm Herrmann konnte eine Task Force der Deutschen Forschungs­gemeinschaft (DFG) im Jahr 2000 Hinweise auf Daten­manipulation nachweisen („Task Force legt Abschlussbericht vor“, DFG-Pressemitteilung vom 19.6.2000).

Der Umfang des Betrugs erschütterte die deutsche Forschungs­landschaft, aber ebenso die Erkenntnis, dass Mitarbeiter versucht hatten, auf Unregel­mäßig­keiten aufmerksam zu machen, aber kein Gehör fanden. „Es gab keine Stellen, an die sich beispielsweise betroffene Doktoranden hätten wenden können“, erinnert sich Claus Scheidereit, emeritierter Professor am Max-Delbrück-Centrum in Berlin und dort auch Ombudsmann, also Ansprechpartner in Konflikt­situationen insbesondere bei Verdacht auf wissen­schaftliches Fehlverhalten. „Deshalb kam die Idee auf, dass sich akademische Forschungs­einrichtungen Leitlinien geben, die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Kenntnis genommen werden müssen. Damit konnte sich niemand mehr herausreden, er hätte nicht gewusst, was falsch ist.“

Editorial

DFG-Leitlinien als Grundlage …

Vor diesem Hintergrund hat die DFG als größter deutscher Förder­mittel­geber bereits im Jahr 1998 die Denkschrift „Leitlinien guter wissenschaftlicher Praxis“ verabschiedet. Nach einer Aktualisierung 2013 wurden die Inhalte im Jahr 2019 grundlegend überarbeitet und der Kodex „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ von der DFG-Mitglieder­versammlung verabschiedet. Ziel des Kodex ist es, den Wissen­schaftlerinnen und Wissen­schaftlern, aber auch den Leitungen von Forschungs­einrichtungen Richtlinien an die Hand zu geben, um eigene Maßnahmen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis zu etablieren und so eine Kultur der wissenschaftlichen Integrität zu schaffen.

„Die Umsetzung des DFG-Kodex in eigenes Recht – z. B. als Satzung oder Ordnung – stellt nach einem Beschluss der Mitglieder­versammlung der DFG seit dem Jahr 2019 eine Voraussetzung für den Erhalt von DFG-Fördermitteln für Forschungs­einrichtungen dar“, schreibt Martin Steinberger, Leiter des Teams „Wissenschaftliche Integrität“ in der DFG-Geschäftsstelle, an Laborjournal. Hatten die Einrichtungen bereits die Regelungen der DFG-Denkschrift „Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“, die durch den Kodex ergänzt wurde, rechtsverbindlich umgesetzt, bestand eine Übergangsfrist zur Umsetzung des Kodex bis zum 31. Juli dieses Jahres.

… vom MDC umgesetzt

Das nach dem in Berlin geborenen Physiker, Molekular­biologen und Nobelpreis­träger benannte Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft – kurz Max-Delbrück-Centrum (MDC) – gilt als eines der international führenden biomedizinischen Forschungs­zentren. Selbst vom Skandal um Friedhelm Herrmann und seiner Kollegin Marion Brach betroffen – beide waren an der Berliner Forschungs­einrichtung beschäftigt – hat das MDC die Forderung der DFG schon länger umgesetzt. Nun wurden die Leitlinien aktualisiert und unter anderem an Veränderungen im Publikationswesen und an die zunehmende Digitalisierung in der Forschung angepasst. „Der DFG-Kodex dient als Vorlage, an dem sich Institutionen orientieren können, er muss aber an jede Institution angepasst werden“, so Scheidereit. „Die DFG-Leitlinien gelten für alle Wissenschafts­disziplinen inklusive der Geistes­wissenschaften, die andere Probleme und Vorgaben haben als unsere Schwerpunkt­bereiche: die experimentellen Biowissenschaften, die Bioinformatik und die Medizin­wissenschaften.“

Dass sich das Max-Delbrück-Centrum der wissenschaftlichen Integrität zutiefst verpflichtet fühlt, macht die Wissenschaftliche Vorständin Maike Sander in ihrem Statement zur Veröffentlichung des aktualisierten Kodex deutlich: „Wissenschaftliche Integrität ist der Grundpfeiler vertrauens­würdiger Forschung. Ihr Fundament ist intellektuelle Aufrichtigkeit, sowohl sich selbst als auch anderen gegenüber. Die Einhaltung der Grundprinzipien guter wissenschaftlicher Praxis ist dabei essentiell.“

Fair, respektvoll, sorgfältig

Mit den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis werden nun die Verantwort­lichkeiten und Erwartungen von und an Vorstände, Gruppen­leitungen und die forschenden Mitarbeiter klar festgelegt. So werden Gruppenleiter dazu angehalten, ihre Mitarbeiter gut zu betreuen, ihre Arbeit fair und objektiv zu bewerten und die Autorenschaft und geistiges Eigentum zu respektieren. Studien sollen sorgfältig geplant, Daten genau dokumentiert und Ergebnisse nach den FAIR-Prinzipien (Findable, Accessible, Interoperable, Reusable) veröffentlicht werden. Bei Verdacht auf einen Verstoß gegen die gute wissenschaftliche Praxis können die zur Vertraulichkeit verpflichteten Ombuds­personen eingeschaltet werden. Erhärtet sich ein Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten, übernimmt ein ständiger Untersuchungs­ausschuss aus gewählten internen und externen Mitgliedern die formelle Untersuchung.

Die Berufung von Ombudspersonen geht ebenfalls auf den DFG-Kodex zurück. Am Max-Delbrück-Centrum gibt es immer zwei. Claus Scheidereit ist seit 2022 dabei, sein Kollege Udo Heinemann seit 2019. Dass die beiden Ombudspersonen zu unterschiedlichen Zeitpunkten berufen werden, hat einen entscheidenden Vorteil wie Scheidereit erklärt: „Auf diese Weise kann gewährleistet werden, dass die Erfahrung erhalten bleibt.“ Die Ombuds­personen bleiben vier Jahre im Amt, einmalige Wiederwahl ist möglich.

Gegenseitige Unterstützung

Für Doktoranden gibt es zusätzlich eine eigene Anlaufstelle, aktuell ist Matthias Selbach die zuständige Vertrauens­person. „Die wesentliche Aufgabe der Ombuds­personen ist die Mediation“, fasst Scheidereit zusammen. „Meine persönliche Erfahrung ist, dass sich in den meisten Fällen ein Streit sofort versachlicht, wenn eine Ombuds­person eingeschaltet ist. Meistens können die Parteien ihren Streit dann sogar alleine beilegen.“ Hilfreich sei, dass alle Ombuds­personen innerhalb der Helmholtz-Einrichtungen miteinander vernetzt sind: „Wir unterstützen uns gegenseitig und springen füreinander ein, wenn einmal ein Befangenheitsproblem bestehen sollte.“ Und damit scheint das MDC erfolgreich zu sein: „Wenn man bedenkt, dass hier zwischen 70 und 80 Arbeitsgruppen mit mehr als tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern arbeiten, gibt es erstaunlich wenige ernsthafte Probleme.“

Larissa Tetsch

Bild: Katharina Bohm (MDC)


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Letzte Änderungen: 25.09.2023