Viel Frustration
Wie Amivantamab ist auch Capmatinib ein Medikament zur Behandlung seltener Formen von Lungenkrebs. Der therapeutische Antikörper Amivantamab soll sogenannte aktivierende EGFR-Exon-20-Insertionsmutationen korrigieren, Capmatinib eine METex14-Skipping-Mutation. Letztere sorgt dafür, dass der auch c-Met oder HGFR genannte Mesenchymal-epithelial Transition Factor, eine Rezeptor-Tyrosinkinase, in Zellen überaktiv oder überexprimiert ist. Capmatinib bindet c-Met und schickt die Tumorzelle in den Zelltod.
Bereits im Juni 2022 hatte die EMA ihr Zulassungs-OK gegeben. In Deutschland folgt darauf noch eine weitere Überprüfung, die unter der Abkürzung AMNOG (kurz für Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz) in letzter Zeit zu viel Frustration bei den Pharmaherstellern geführt hat. Während des AMNOG-Verfahrens schaut sich das IQWIG im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) die zulassungsrelevanten Studien noch einmal genauer an, um zu bestätigen, dass das Medikament im Vergleich zur Standardtherapie auch tatsächlich einen Zusatznutzen bringt. Hinter der recht einfachen Frage versteckt sich jedoch ein Menge Geld. Denn je nachdem, wie die Antwort ausfällt, kann das Pharmaunternehmen anschließend seine Preisvorstellungen bei den Krankenkassen durchsetzen oder nicht. Wird kein Zusatznutzen beschieden, bekommt das Unternehmen mehr oder weniger nur den Preis der Vergleichstherapie erstattet. Und diese Preise können sich erheblich voneinander unterscheiden. Für Amivantamab betrug die Preisvorstellung 135.000 Euro, bei Capmatinib 115.000 Euro.
Nicht kontrolliert und offen
In beiden Fällen befand das IQWIG, dass es keinen Zusatznutzen feststellen konnte – allerdings nicht, weil es diesen nicht gibt, sondern weil die Datenlage nicht ausreicht, um sich ein solches Urteil zu erlauben. Das liegt vor allem am Studiendesign, so der IQWIG-Abschlussbericht zu Capmatinib: „Die vom pU [pharmazeutischen Unternehmer] vorgelegten Ergebnisse sind nicht für die Bewertung des Zusatznutzens von Capmatinib im Vergleich zu der zweckmäßigen Vergleichstherapie geeignet“. Die Zulassung von Capmatinib basierte auf „GEOMETRY mono-1“, einer einarmigen, offenen Studie mit 92 Patienten in sieben Kohorten. Amivantamab testete Janssen-Cilag in der CHRYSALIS-Studie zwar allein und in Kombination mit anderen gängigen Krebsmitteln, es fehlte jedoch der Vergleichsarm ohne den therapeutischen Antikörper.
Janssen führte als Entschuldigung an, dass es bei seltenen Erkrankungen einfach nicht genug Patienten für Studien gibt. Auch Novartis’ Lungkrebsmittel käme nur für 200-400 Patienten pro Jahr überhaupt infrage. Der G-BA lässt das aber nicht gelten. Auf Laborjournal-Nachfrage verweist er auf das Blutkrebs-Medikament Blinatumomab. „In Deutschland gibt es jährlich sieben bis dreißig Kinder, für die eine solche Therapie infrage kommt. Dennoch schaffte es das Biotech-Unternehmen Amgen, insgesamt 108 Kinder und Jugendliche an 47 Zentren in 13 Ländern in die Studie einzuschließen“, verdeutlicht LJ-Autorin Sigrid März in ihrem Amivantamab-Artikel.
Novartis und Janssen haben sich jedoch dafür entschieden, deutschen Lungenkrebs-Patienten ihre Medikamente nicht mehr zur Verfügung zu stellen. Damit sind sie keineswegs allein. Ebenfalls diesen Sommer zog ein weiterer Hersteller, Boehringer Ingelheim, sein Psoriasis-Medikament Spevigo (Spesolimab) vom deutschen Markt zurück (siehe DAZ Online, 31.8.2023). Und poltert dabei ordentlich gen IQWIG und G-BA.
Kontrolliert, aber nicht zweckmäßig
Spesolimab ist ebenfalls ein therapeutischer Antikörper, ein Immunmodulator, um genau zu sein. Er bindet an den Interleukin-36-Rezeptor, ein Zytokin, und zieht ihn dadurch aus dem proentzündlichen Aktivierungsverkehr. Zugelassen ist er seit Dezember 2022 in Europa, auf den deutschen Markt kam er im Februar 2023. Gleichzeitig startete das AMNOG-Verfahren. Mitte Juli hatte sich das IQWIG eine abschließende Meinung gebildet und gab bekannt: „Die vom pharmazeutischen Unternehmer eingeschlossene Studie EFFISAYIL 1 ist nicht geeignet, um Aussagen zum Zusatznutzen von Spesolimab im Vergleich mit der zweckmäßigen Vergleichstherapie für Patientinnen und Patienten mit generalisierter pustulöser Psoriasis (GPP) zu treffen.“ Der Zusatznutzen konnte also wieder nicht belegt werden, zumindest nicht mit der vom Hersteller eingereichten Studie. Diese Phase-2-Studie bezog 53 Patienten ein, die entweder Spesolimab oder einen Placebo erhielten. Sie war also kontrolliert. Jedoch nicht mit der „zweckmäßigen Vergleichstherapie“, in diesem Falle systemischen Glucocorticoiden wie Prednisolon.
Für das IQWIG war die Sache damit klar, für Boehringer allerdings auch. Ende August nahm der rheinhessische Pharmahersteller Spesolimab vom deutschen Markt. Denn ohne den Beleg des Zusatznutzens hätte das Unternehmen bei den Verhandlungen mit den Krankenkassen ziemlich schlechte Karten. So schlägt eine Glucocorticoid-Behandlung mit etwa 300 bis 600 Euro pro Jahr zu Buche. Für Spesolimab veranschlagte Boehringer Jahrestherapiekosten von rund 22.000 Euro. Der Betrag ist in dem meisten Fällen allerdings nur ein einziges Mal fällig. Dennoch könnte man mit dieser Summe eine Glucocorticoid-Behandlung fast 40 Jahre lang bezahlen.
G-BA vor Gericht
Gegenüber der dpa beklagte Sabine Nikolaus, Vorsitzende der Geschäftsführung der Boehringer Ingelheim Deutschland GmbH, dass „Innovationen in Deutschland oft Opfer starrer Prozesse und Vorgaben“ sind. Außerdem fügte sie hinzu, „muss das Nutzenbewertungssystem dringend geändert werden. Vor allem für neuartige Therapien und im Bereich seltener Erkrankungen braucht der Nutzenbewertungsprozess mehr Spielraum und Flexibilität, damit es nicht zur kategorischen Ablehnung verfügbarer Evidenz kommt.“ Boehringer Ingelheim geht nun gerichtlich gegen den Beschluss des G-BA vor.
Und was sagen die Betroffenen? Patientenvertreter haben an den Beratungen zur Zusatznutzen-Bewertung von Spesolimab teilgenommen. Auch sie stimmten der Entscheidung zu. Auf der Psoriasis-Community-Website www.psorias-netz.de kommentiert Rolf Blaga: „Als Patienten wollen wir uns darauf verlassen können, dass die Wirkung und der Nutzen eines Medikaments seriös nachgewiesen wird. Deshalb ist es richtig, dass das eine unabhängige Einrichtung überprüft. Dabei können Fehler passieren, die der Hersteller aber noch vor der endgültigen Entscheidung in einer Anhörung klären kann. […] für 47 Prozent der in Deutschland neu zugelassenen Präparate wurde kein Zusatznutzen festgestellt. Das ist ärgerlich für die betroffenen Hersteller. Aber es verhindert, dass Patienten mit grundlos überteuerten Produkten behandelt werden. Für die betroffenen GPP-Patienten hoffen wir, dass die Experten letztendlich belegen können, dass eine Behandlung mit dem Biologikum Spevigo allemal besser ist als die Einnahme starker Corticoide.“
Kathleen Gransalke
Bild: Pixabay/josealbafotos
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