Editorial

„Man braucht ein Team, dem man vertraut“

(26.10.2023) Sagen die MDC-Forscher Uta Höpken und Armin Rehm über die Gründung ihrer Firma CARTemis Therapeutics im umkämpften CAR-T-Zell-Markt.
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CAR-T-Zellen in grün attackieren Lymphomzellen (violett). Darüber das CARTemis-Team (vlnr): Armin Rehm, Anthea Wirges, Uta Höpken und Mario Bunse

Wie kamen Sie auf die Idee, ein Start-up zu gründen?
Uta Höpken: Wir sind mit unseren Arbeitsgruppen „Mikroumgebung als Regulator bei Autoimmunität und Krebs“ und „Translationale Tumor­immuno­logie“ seit über 20 Jahren als Wissenschaftler am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin-Buch tätig. Vor 15 Jahren haben wir angefangen, die Tumor­mikro­umgebung bei Lymphomen und Leukämien präklinisch mit In-vitro- und In-vivo-Modellen zu untersuchen. Vor etwa acht Jahren haben wir dann begonnen, unser gemeinsames Wissen einzusetzen, um eigene chimäre Antigen­rezeptoren (CAR) selbst herzustellen. Dabei konnten wir auf unsere Erfahrung bei der Herstellung monoklonaler Antikörper zurückgreifen.

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Wodurch zeichnen sich Ihre neuartigen CAR-T-Zell-Produkte aus?
Armin Rehm: Wir bewegen uns hier in einem kompetitiven Forschungsgebiet. Es gibt derzeit vier von der U.S. Food and Drug Administration (FDA) und der European Medicines Agency (EMA) zugelassene CARs, die das Antigen „Cluster of Differentiation 19“ (CD19) erkennen, und zwei zugelassene CARs, die das „B-cell maturation antigen“ (BCMA) erkennen. CD19 war der Eisbrecher für die CAR-T-Zell-Entwicklung. Das Molekül geht aber in bis zu 30 Prozent der Fälle auf Krebszellen verloren. Selbst mit dem besten derzeit verfügbaren BCMA-CAR ist das multiple Myelom nicht heilbar. Spätestens nach 30 Monaten kommt es zu einem Rezidiv. Außerdem ist das Produkt mit circa 400.000 US-Dollar sehr teuer und nicht für jeden Patienten verfügbar. Unser BCMA-CAR braucht nur eine sehr geringe Antigen-Dichte auf dem Tumor, um aktiv zu sein, auch wenn im Zuge des Immune Escape das Antigen herunterreguliert wird. Daher ergeben sich Anwendungs­möglichkeiten nicht nur beim multiplen Myelom, sondern auch beim reifzelligen Non-Hodgkin-Lymphom. Wir möchten in Zukunft auch andere Plasmazell-abhängige Erkrankungen adressieren. Außerdem sind unsere CAR-Produkte alle humanisiert, sodass wir keine Immunreaktion gegen Maus- oder Ratten-Anteile befürchten müssen.

Welche weiteren CARs haben Sie noch in der Pipeline?
Rehm: Unser CXCR5-CAR erkennt das Antigen „CXC motif chemokine receptor 5“, das nicht nur gleichförmig auf primären reifzelligen Lymphomen, sondern auch auf T-follikulären Helferzellen vorkommt. Diese Zellen fördern bei follikulären Lymphomen sowie bei der chronisch lymphatischen Leukämie das Tumorwachstum. Wir greifen mit unserem CXCR5-CAR an zwei Fronten an, einmal an den Tumorzellen und einmal am Tumorstroma.
Unser drittes Produkt ist eine Plattformtechnologie. Es handelt sich um eine microRNA, die bei Effektorzellen mit jedem beliebigen CAR das Protein „Estrogen Receptor Binding Site Associated Antigen 9“ (EBAG9) herunterreguliert und so die Freisetzung der cytolytischen Enzyme Granzym und Perforin verstärkt. Es wird sozusagen eine Bremse herausgenommen. Dieses Produkt können wir sowohl mit unseren eigenen CARs bei hämatologischen Tumoren einsetzen, als auch in Kooperation mit anderen Firmen zur Verstärkung der Wirkung von deren CAR-Produkten. Mit unserer Verstärker-microRNA reichen ultraniedrige Level an tumor­assoziiertem Antigen für die Abtötung der Tumorzellen aus. Dadurch werden auch weniger CAR-T-Zellen benötigt. Die Herstellung eines CAR-T-Zell-Produkts wird dadurch schneller und preiswerter. Außerdem vermeiden wir die vermehrte Freisetzung von Cytokinen.

Welche Unterstützung haben Sie für Ihre Gründung erhalten?
Rehm: Die Finanzierung der frühen präklinischen Schritte bis zur Entscheidung, ein GMP-clinical-grade-Virus zu entwickeln, hat das MDC übernommen. Das MDC hat hervorragende eigene Förder­instrumente wie BOOST und Pre-GoBio für Projekte, die in die Translation und Ausgründung gehen sollen. Diese haben wir sogar mehrfach in Anspruch genommen. Wir haben bei einem Auftragshersteller sehr früh die Entwicklung eines Retrovirus in Auftrag gegeben. Am MDC haben wir ein prä-GMP-Labor etabliert und mit einem automatisierten, geschlossenen System die Herstellung von CAR-T-Zellen, wie sie später für den Patienten erfolgen soll, erprobt. Für die Vorbereitung unserer Produktions­plattform konnten wir zudem zwei Wissenschaftler/-innen mit großer Erfahrung in Regulatorik und Produktion gewinnen.
Nach der ersten präklinischen Austestung und Entwicklung haben wir früh die Gelder für den translatorischen Teil eingeworben. Durch den Helmholtz-Validierungsfonds und das Programm VIP+ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung haben wir über zwei Millionen Euro für die Validierungsphase unserer CAR-T-Zell-Produkte erhalten. Die Kommerzialisierbarkeit sowie die Patentrechte spielten bei diesen Programmen eine große Rolle.
Für die Ausgründung selbst haben wir das SPOT-Programm (Spin-Off Support am MDC) in Anspruch genommen. Momentan werden wir vom Helmholtz-Enterprise-Programm gefördert, das ebenfalls Ausgründungen aus akademischen Institutionen unterstützt. In den letzten zehn Jahren haben wir also unentwegt Anträge geschrieben. Es hat erstaunlich gut funktioniert.

Mit wem führen Sie die anstehenden klinischen Studien durch?
Höpken: Für die klinischen Phase-1-Studien mit dem CXCR5-CAR zur Behandlung der B-Non-Hodgkin-Lymphome und mit dem BCMA-CAR zur Behandlung des multiplen Myeloms haben wir an der Charité in Berlin und am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Dresden (NCT), am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg und der Uniklinik Heidelberg Partner gewonnen. Wir wollten die klinischen Studien unbedingt in Deutschland durchführen. Für diese Studien können wir öffentliche Drittmittel des BMBF sowie des NCT Dresden verwenden, die wir eingeworben haben. Wir hätten die Produkte mit Unterstützung des MDC auslizenzieren können. Wir haben aber stattdessen im August diesen Jahres unsere Firma CARTemis Therapeutics GmbH gegründet, da wir unsere neuartigen Produkte bis in die Zulassung begleiten wollen. So können wir sie möglichst breit, schnell und effizient zu den Patienten bringen.

Was haben Sie für Ihre klinischen Studien geplant?
Höpken: Das Studienprotokoll für die BCMA-CAR-Studie liegt derzeit beim Paul-Ehrlich-Institut. Wir gehen davon aus, dass wir dieses Jahr Patienten rekrutieren können und die ersten Daten im kommenden Jahr erhalten werden. Für unsere Studie mit dem CXCR5-CAR ist das Studienprotokoll in der Vorbereitung. Wir müssen auch noch die Herstellungs­genehmigung bei der Landesbehörde einholen. Mit einem Studienstart rechnen wir in der zweiten Jahreshälfte 2024. Unsere Erfahrung ist: Je früher man mit den Behörden redet, desto besser. Wir haben wertvolle Hinweise erhalten.

Welche weiteren Schritte werden Sie bezüglich Ihres Start-ups unternehmen?
Höpken: Wir müssen jetzt in Verhandlungen mit der auf dem MDC-Campus angesiedelten Firma Ascenion gehen, um für unsere Firma die Lizenzen für die von uns entwickelten CAR-T-Zell-Produkte vom MDC zu erwerben. Für Investoren ist es entscheidend, wie wir unsere CAR-T-Zell-Produkte in Zukunft nutzen dürfen. Für manche Produkte werden wir Exklusiv-Lizenzen erhalten, für andere Teillizenzen. Als Gründer bilden wir uns für unsere firmen­internen Aktivitäten weiter. Für die kaufmännische Seite werden wir das Know-how erst einmal auf Auftragsbasis einkaufen.

Wie haben Sie den Schritt von der Wissenschaft ins Unternehmertum erlebt?
Höpken: Das Unternehmertum ist für uns Neuland. Es ist sehr viel Arbeit, macht aber auch sehr viel Spaß. Ab der Minute, ab der wir die GmbH gegründet hatten, war das nicht mehr wie Trockenschwimmen. Ab diesem Zeitpunkt konnten wir die Auslizen­zierungs­verhandlungen vorantreiben und kamen mit potentiellen Investoren ins Gespräch. Die Investoren erwarten klare Zuständigkeiten und einen eindeutigen Ansprechpartner.
Am 11. Oktober 2023 haben wir unsere Firma bei der Einweihung des Gründerzentrums BerlinBioCube auf dem Campus Berlin-Buch vorgestellt. Als Ausgründung des MDC werden wir dort eigene Räumlichkeiten anmieten dürfen. Wir konnten zwei unserer langjährigen wissenschaftlichen Mitarbeiter, Anthea Wirges und Mario Bunse, für unser Start-up gewinnen. Frau Wirges ist derzeit die Geschäftsführerin. Herr Bunse, Herr Rehm und ich sind weiterhin am MDC angestellt und widmen unsere Zeit teilweise der Firma. Wenn wir weitere Gelder von Investoren eingeworben haben, werden wir die Firma erweitern und zuerst einen CEO einstellen, der betriebswirtschaftliches, finanzielles und juristisches Know-how einbringt.
Bei den Mitarbeitern unserer Arbeitsgruppen kommt die Ausgründung gut an. Mit dem geplanten Sitz im BerlinBioCube bleiben wir eng mit der Wissenschaft verbunden und können neue Ideen auch in Zukunft als neue Produkte in die Firma überführen.

Was war für Ihre Gründung von besonderer Bedeutung?
Höpken: Für die Gründung braucht man ein Team, dem man vertraut. Armin und ich arbeiten seit vielen Jahren zusammen. Wir haben zwei unserer Postdocs mit hinzugenommen, die wir beide seit Jahren kennen. Am Anfang hat uns eine weitere Wissenschaftlerin bei der Ausgründung effektiv unterstützt, ist dann aber kurzfristig ausgestiegen. Wir mussten sehr schnell Ersatz finden, um das Helmholtz-Enterprise-Programm weiter durchführen zu können. Jetzt haben wir ein sehr stimmiges Team, in dem sich die Mitglieder gut ergänzen. Ich finde, wir haben auch einen guten Mix aus Erfahrung und frischen Ideen.

Konnten Sie bereits Investoren an Bord holen?
Höpken: Wir sind derzeit in intensiven Gesprächen. Wir nehmen als Team an Accelerator-Programmen teil, um unsere Firmenpräsentation und unseren Businessplan zu schärfen, zum Beispiel am Creative Destruction Lab in Berlin. Mit einem Gründerfonds sowie einer Investitionsbank stehen wir in Austausch bezüglich finanzieller Unterstützung. Zudem führen wir bereits Gespräche mit größeren Pharmafirmen. Unser cytolytischer Enhancer bietet sich für die Zusammenarbeit mit anderen Firmen an. Wir können als kleine Firma nicht ein halbes Dutzend klinische Studien betreuen.

Welche Herausforderungen erleben Sie bei der Investor-Suche?
Höpken: Wir mussten lernen, wie man seine wissenschaftlichen Errungenschaften so anpreist, dass sie auch für einen Investor interessant sind. Man muss Dinge herunterbrechen und kurz und knackig präsentieren. Das fällt uns als Wissenschaftler nicht so leicht, da wir gerne präzise und genau sind und ins Detail gehen.
Rehm: Wir mussten für die Investoren-Ansprache unsere Sprache verändern und plakativer formulieren. Wir müssen nicht so viel hinterfragen und abwägen wie in der Wissenschaft und stattdessen einfachere Botschaften liefern. Investoren müssen viele Bereiche überblicken. Sie sind ja nicht tagein, tagaus im gleichen Feld wie wir tätig.

Welchen medizinischen Bedarf und welchen Markt sehen Sie für Ihre CAR-T-Zell-Therapie?
Rehm: Bei den in den USA hergestellten CAR-Therapien werden die Zellen zweimal eingefroren und müssen zweimal über den Atlantik transportiert werden. Es dauert etwa 40 Tage nach der Entnahme, bis ein Patient seine CAR-T-Zellen erhält. Da manche Patienten progredient sind, ist das ein Problem, da die Therapie dann nicht mehr passt ohne Chemotherapie als Zwischentherapie. In Deutschland können wir unsere CAR-T-Zell-Produkte schneller, zu einem niedrigeren Preis und in hoher Qualität herstellen. Die immunologischen Nebenwirkungen einer CAR-T-Zell-Therapie lassen sich inzwischen gut abfangen. Das Risiko-Nutzen-Profil ist eindeutig zugunsten des Nutzens bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen.

Das Gespräch führte Bettina Dupont

Bild: A. Rehm (CAR-T-Zellen) & F. Petermann, MDC (Gruppenfoto)


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Letzte Änderungen: 26.10.2023