Editorial

Mit Pflanzenkraft gegen Huntington

(30.11.2023) Klingt esoterisch, ist aber biotechnologisch. Das angehende Start-up Plantman fahndet in Pflanzenzellen nach Wirkstoffen gegen menschliche Krankheiten.
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Wie kamen Sie auf die Idee, Pflanzenproteine als Therapeutika für den Menschen einzusetzen?
Ernesto Llamas: Als ich als Postdoc am Exzellenz­cluster für zelluläre Stressreaktionen bei alters­bedingten Krankheiten (CECAD) in Köln anfing, war ich der Einzige mit einem Hintergrund in der Pflanzenforschung. Im Gegensatz zum Menschen können Pflanzen wie einige Kiefern und der Mammutbaum Hunderte bis Tausende von Jahren alt werden. Soweit wir wissen, gibt es bei Pflanzen keine alters­bedingten Krankheiten wie Proteino­pathien. Aus Neugierde habe ich ein menschliches Protein, das toxische Protein­aggregate bildet, die Neuro­degeneration verursachen, im pflanzlichen Modell­organismus Arabidopsis thaliana exprimiert. Ich fand heraus, dass Pflanzenzellen die Bildung toxischer Aggregate vermeiden und somit keine schädlichen Auswirkungen des menschlichen Proteins auf die Entwicklung, die Lebensspanne, die Blütezeit oder die photosynthetische Aktivität zeigen.

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Was genau haben Sie herausgefunden?
Llamas: In Pflanzen interagiert das Chloroplasten-Enzym Stromal Processing Peptidase (SPP) mit dem menschlichen Protein Huntingtin, das eine erweiterte Poly-Glutamin-Region (PolyQ) enthält. Beim Menschen können abnorm erweiterte PolyQ-Regionen Protein­aggregationen auslösen, die zu verschiedenen Erkrankungen führen – bekannt als PolyQ-Krankheiten. Die Huntington-Krankheit beispielsweise ist eine Erbkrankheit, die zu einer ausgedehnten Schädigung von Neuronen im Gehirn führt, die mit psychischen und physischen Beeinträchtigungen einhergeht. Beim Menschen sind neun PolyQ-Erkrankungen bekannt, und es gibt bisher keine Heilung. Wir fanden heraus, dass die Verabreichung von pflanzlichem SPP die Protein­aggregate in menschlichen Zellen und Nematoden-Modellen für die Huntington-Krankheit reduziert. Besonders wichtig ist, dass SPP die eingeschränkte Beweglichkeit der Fadenwürmer verbessert. Die Ergebnisse haben wir kürzlich in Nature Aging veröffentlicht (3: 1345–57). Wir haben auch ein Video produziert, um die Arbeit zu erläutern. Einige Pharma­unternehmen haben versucht, die Huntington-Krankheit mithilfe von Gene-Silencing-Verfahren zu behandeln. Leider wurden die klinischen Versuche der Phase 3 für zwei Antisense-Kandidaten gestoppt. Andere Kandidaten, die auf microRNAs basieren, befinden sich in der präklinischen Phase oder in der klinischen Phase 1/2.

Was ist bei Ihrem Ansatz noch unklar?
Llamas: Der genaue Mechanismus, durch den SPP die Protein­aggregate abbaut, ist nicht ganz klar. Entweder fungiert es als Chaperon, das dazu beiträgt, die Bildung von Aggregaten zu verhindern, oder es spaltet die aggregierten Proteine. Wir planen, dies in naher Zukunft weiter zu erforschen. Um neuronale Erkrankungen zu behandeln, werden wir auch untersuchen, wie SPP am besten in das Gehirn eingebracht werden kann. Außerdem wollen wir SPP als mögliche Therapie nicht nur für die Huntington-Krankheit, sondern auch für andere PolyQ-Krankheiten einsetzen.

Wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen?
Llamas: Mein Interesse an Pflanzen wurde während meines Studiums geweckt, nachdem ich ein Seminar über Pflanzenbiotechnologie besucht hatte. Ich habe an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko einen Bachelor in Biologie und einen Master in Biochemie abgeschlossen, beide mit Schwerpunkt auf molekularer Pflanzenbiologie. Im Jahr 2014 bin ich nach Barcelona gezogen und habe dann dort am Zentrum für Forschung in landwirtschaftlicher Genomik in Pflanzenbiotechnologie promoviert. Während dieser Zeit habe ich untersucht, wie beschädigte Proteine in Chloroplasten recycelt oder entsorgt werden. Im Jahr 2018 bin ich mit einem Postdoc-Humboldt-Stipendium nach Köln gekommen, um zu untersuchen, ob menschliche PolyQ-Proteine in Pflanzen aggregieren und toxisch sind. Am Ende habe ich entdeckt, dass pflanzliche Chloroplasten einen Mechanismus haben, um toxische Protein­aggregation zu neutralisieren. Dieses Forschungsprojekt setze ich auch am Exzellenz­cluster für Pflanzenwissenschaften (CEPLAS) fort, wo ich derzeit Postdoc bin.

Wann haben Sie Ihr Start-up Plantman gegründet?
Llamas: Der Gründungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Wir haben 115.000 Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des GO-Bio-initial-Programms erhalten, das den Übergang vom Labor auf den Markt in der frühen Phase unterstützt. In den kommenden Jahren müssen wir den Proof-of-Concept in anderen Modell­organismen wie Mäusen erbringen und die therapeutische Aktivität von SPP sowie mögliche Nebenwirkungen untersuchen. Außerdem haben wir dieses Jahr den zweiten Platz im BioRiver Boost!-Wettbewerb als eines der drei besten Start-ups und Gründungsprojekte gewonnen. Wir werden Zugang zum umfangreichen BioRiver-Netzwerk und seiner Expertise erhalten, um unser Start-up weiterzuentwickeln.

Was war bisher am aufregendsten an Ihrer Gründung?
Llamas: Es ist super spannend, die Ergebnisse langjähriger Forschung anzuwenden, um reale Probleme zu lösen und Menschen zu helfen. Auch der Prozess der Finanzierung eines Start-ups ist etwas Spannendes und Neues für mich. Ich bekomme Unterstützung vom Gateway Exzellenz Start-up Center und von der Transferstelle der Universität zu Köln.

Wer arbeitet in Ihrem Start-up mit Ihnen zusammen?
Llamas: Vor kurzem habe ich eine Doktorandin eingestellt, die ab den kommenden Wochen mit mir zusammenarbeiten wird. Wir haben auch zwei Professoren an Bord: Alga Zuccaro vom CEPLAS an der Universität zu Köln, in deren Gruppe ich meinen zweiten Postdoc mache. Die Zusammenarbeit mit ihr kam zustande, nachdem wir uns auf einer CEPLAS-Konferenz getroffen hatten. Der zweite Professor, der unsere Forschung unterstützt, ist David Vilchez vom CECAD an der Universität zu Köln, der Experte ist für Protein­homöostase in menschlichen Zellen und C. elegans und mein Betreuer war während meines ersten Postdocs.

Möchten Sie ein Vollzeit-Unternehmer werden?
Llamas: Ja, ich kann mir vorstellen, ein Vollzeit-Unternehmer zu werden und die Ergebnisse meiner Forschung zu nutzen, um ein Medikament zu entwickeln, das den Menschen hilft. Während meiner Zeit als Doktorand habe ich auch Sketching Science gegründet, eine Plattform für visuelle Wissenschaftskommunikation. Ich erkläre komplexe Wissenschaft mit Illustrationen. Dies hilft mir, Pitches visuell vorzubereiten, mit Geschäftsleuten zu kommunizieren, und bei der Werbung für meine Forschung in den sozialen Medien.

Welche Vor- und Nachteile hat die Suche nach neuen Therapeutika in Pflanzen?
Llamas: Pflanzen verfügen über ein erweitertes Arsenal an molekularen Mechanismen, und sie existierten lange vor dem Menschen. Bislang standen sie nicht im Mittelpunkt der Alterungs­forschung, obwohl sie langlebige Organismen sind. Sie könnten weitere Geheimnisse in sich tragen, die wir nutzen könnten, um neue Therapien und Heilmittel für menschliche Krankheiten zu finden. Die Arbeit mit Pflanzen ist jedoch zeitaufwendig, denn die gentechnische Veränderung von Pflanzen dauert mehrere Monate, länger als bei Bakterien und anderen Organismen, die in der Forschung verwendet werden. Ich glaube auch, dass es in den Pflanzen­wissenschaften schwieriger ist, finanzielle Unterstützung zu erhalten als beispielsweise in den biomedizinischen Wissenschaften.

Wie gefällt es Ihnen in Köln?
Llamas: Ich bin wirklich froh, in Köln zu sein. Wir haben hier alles, um großartige Wissenschaft zu betreiben und ein Start-up zu gründen: ein Cluster von Forschungs­zentren, Max-Planck-Institute und die Universität. Andere Universitätsstädte und Pharma­unternehmen sind in der Nähe, mit denen ich hoffentlich in Zukunft zusammenarbeiten werde.

Das Interview führte Bettina Dupont (auf Englisch)

Bild: E. Llamas/CEPLAS (2)


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Letzte Änderungen: 30.11.2023