Editorial

„Humangenetik ist ein
absoluter Teamsport“

(29.01.2024) Seit 2019 gibt es die „Junge Humangenetik“ innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik. Über Ziele und Aktivitäten der Initiative sprachen wir mit Ilona Krey und Robert Meyer.
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Was war der Auslöser für die Gründung einer Interessenvertretung für den klinischen und wissenschaftlichen Nachwuchs in der Humangenetik?
Robert Meyer: Die Idee dazu entstand 2018 bei einem Stammtisch am Rande der GfH-Tagung [der Gesellschaft für Humangenetik] und nahm auf der Juniorakademie 2019 weiter Gestalt an. Humangenetiker arbeiten bislang häufig in kleineren Instituten und Praxen. Es gab daher unter den jungen Humangenetikern den großen Wunsch, sich im deutschsprachigen Raum untereinander auszutauschen.
Wir denken, dass die Humangenetik ein absoluter Teamsport ist. Dies gilt zum einen für die multiprofessionellen Teams in den Instituten und Praxen aus Ärztinnen und Ärzten, Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, technischen Angestellten und medizinischen Fachangestellten. Zum anderen benötigen wir deutschlandweit vernetzte Forschung, gut aufgestellte Datenbanken und Wissensaustausch zu den seltenen genetischen Erkrankungen. Um dies zu ermöglichen, wollen wir Zusammenarbeit früh in der Karriere anbahnen und die Weiterbildung für den ärztlichen und naturwissenschaftlichen Nachwuchs attraktiv gestalten.

Editorial

Was bieten Sie Ihren Teilnehmern?
Ilona Krey: Die Junge Humangenetik ist in sechs Arbeitskreise aufgegliedert, die sich in den Bereichen Interessenvertretung, Weiterbildung und Prüfungen, Vernetzung, Veranstaltungen, Öffentlichkeitsarbeit und Forschung engagieren. Wir haben einen Account auf X (ehemals Twitter) und Bluesky, auf dem wir aktuelle Informationen teilen, veröffentlichen einen Newsletter und haben ein Internetforum für registrierte Teilnehmer. Es können aber auch Personen, die nicht bei der Jungen Humangenetik registriert sind, an Veranstaltungen teilnehmen und den Newsletter beziehen.
Meyer: Am Rande der GfH-Tagung bieten wir zum Zwecke des Austauschs unseren Stammtisch an, an dem im vergangenen Jahr über 150 Personen teilgenommen haben. Wir veranstalten jährlich eine dreitägige Juniorakademie. Das Programm umfasst neben wissenschaftlichen Vorträgen, beispielsweise zu Krankheitsbildern, Techniken und Übersichtsarbeiten, auch interaktive Workshops und ein Karrierepodium. In den vergangenen Jahren konnten wir jeweils auch eine Patienten-Selbsthilfegruppe einladen, worauf wir besonders stolz sind. Die Juniorakademie ist zudem eine Plattform für aktive Teilnehmer und Arbeitskreise, sich auszutauschen, Arbeitstreffen zu veranstalten und die grundlegenden Anliegen aus der Jungen Humangenetik zu diskutieren, die wir an die entsprechenden Gremien der GfH und des Berufsverbands Deutscher Humangenetiker e. V. (BVDH) zurücktragen. Einmal im Jahr hält die Junge Humangenetik eine Teilnehmerversammlung ab, bei der Sprecher gewählt und Anträge eingereicht werden können.

Wie viele Teilnehmer hat die Junge Humangenetik derzeit und wie kann man sich anmelden?
Krey: Wir haben 150 registrierte Teilnehmer. Eine GfH-Mitgliedschaft ist Voraussetzung für eine Anmeldung. Interessenten sollten jünger als 40 Jahre sein beziehungsweise der Abschluss der Weiterbildung sollte maximal drei Jahre zurückliegen. Die Anmeldung selbst ist kostenlos.

Wie kann man sich aktiv in der Jungen Humangenetik engagieren?
Krey: Beispielsweise in einem unserer sechs Arbeitskreise als Teilnehmer oder Arbeitskreissprecher. Wir haben regelmäßige Treffen der Arbeitskreissprecher, in denen wir uns intensiver zu den Anliegen der jeweiligen Arbeitskreise austauschen. Über die Junge Humangenetik gibt es auch Möglichkeiten, sich aktiv in den Gremien der GfH und des BVDH zu engagieren. Interessenten können sich an die Junge Humangenetik wenden und werden dann an die entsprechenden Arbeitskreise vermittelt.
Meyer: Zuletzt hatten wir auch vermehrt Anfragen, die GfH bei der Leitlinienerstellung und der Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen. Wir sind außerdem mit anderen jungen Fachgesellschaften vernetzt, beispielsweise mit dem europäischen ESHG Young Geneticists Committee (ESHG-Y). Weitere Vernetzungen bestehen mit den Young Oncologists United und mit jungen pädiatrischen Kolleginnen und Kollegen. Auch hier können sich Teilnehmer einbringen beim Austausch von Ideen und Anfragen, zum Beispiel um das Thema Interdisziplinarität und Multidisziplinärität voranzubringen.

Was konnten Sie seit Ihrer Gründung erreichen?
Krey: Wir werden von der GfH stark unterstützt, um die Sichtbarkeit des Nachwuchses zu verbessern. Seit unserer Gründung konnten wir Strukturen für die Interessenvertretung der Jungen Humangenetiker schaffen und die Bedingungen für die Jungen Humangenetiker verbessern. Wir haben die Vernetzung gefördert, wodurch auch viele Freundschaften entstanden sind. Wir denken, dass Kontakte früh in der Karriere wesentlich sind für die weitere berufliche Laufbahn. Wir konnten auch die Vernetzung mit anderen jungen wissenschaftlichen Vereinigungen voranbringen. Wir unterstützen die Kommissionen der GfH und schaffen Bewusstsein dafür, dass wir alle besser sind, wenn wir zusammenarbeiten.
Meyer: In allen Kommissionen der GfH sind inzwischen gewählte Mitglieder der Jungen Humangenetik vertreten. Unsere Weiterbildungsprojekte sind auf dem Weg. Wir arbeiten in einem der dynamischsten medizinischen Fächer. Wir freuen uns, dass wir den Zuwachs an Wissen, Sequenzier- und Therapiemöglichkeiten mitgestalten können. Aufgrund der sprunghaften Entwicklungen müssen wir agiler sein als andere Fächer, was die Anpassung der Rahmenbedingungen zum Beispiel in der Weiterbildung betrifft. Durch den Austausch untereinander haben wir auch mehr Selbstvertrauen gewonnen. Die Mitarbeit an den berufspolitischen Aufgaben zeigt uns, dass wir tatsächlich auch Verbesserungen erreichen können.

Wie begegnen Sie mit Ihrer Initiative den besonderen Herausforderungen in Ihrem Fach?
Krey: Die Humangenetik hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Es sind neue Aufgaben hinzugekommen und weitere Berufsgruppen beteiligt, wie beispielsweise die Bioinformatiker. Wir generieren riesige Mengen an Daten, die verantwortungsvoll verarbeitet und analysiert werden müssen. Es ist spannend, an den vielen wissenschaftlichen Fragestellungen zu arbeiten und die neuen diagnostischen Möglichkeiten zu nutzen.
Meyer: Für den Personalbedarf in der Humangenetik müssen die Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten dem aktuellen und zukünftigen Bedarf angepasst werden. Schon jetzt haben wir zu wenig Fachpersonal. Die Weiterbildung muss in regelmäßigen Abständen reevaluiert und Weiterbildungsinhalte für Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler, Ärztinnen und Ärzte in der Humangenetik dynamisch angepasst werden. Vergütung und Bedarfsplanung müssen eine adäquate humangenetische Versorgung auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft ermöglichen. Weitere Herausforderungen sind leider immer noch häufig befristete Arbeitsverträge, insbesondere im universitären Setting, und die bisher ausstehende staatliche Anerkennung von Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftlern in Labor und Patientenbetreuung in unserem Fachgebiet. Wir stehen in engem Kontakt mit der GfH und dem BVDH und versuchen hier, die laufenden Bemühungen zu unterstützen.

Was sind Ihre nächsten geplanten Aktivitäten für die Teilnehmer der Jungen Humangenetik?
Krey: Wir sind auf der Tagung der Europäischen Gesellschaft für Humangenetik (ESHG) vertreten und werden ein Treffen mit der ESHG-Y und verschiedenen europäischen Nachwuchsorganisationen organisieren. Vom 25. bis 27. September 2024 veranstalten wir die 6. GfH-Juniorakademie auf Schloss Buchenau im Landkreis Fulda – in der Mitte Deutschlands. Die Anmeldung wird auf unserer Website veröffentlicht werden.

Das Interview führte Bettina Dupont

Ilona Krey ist Ärztin in Weiterbildung am Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Leipzig, Facharzt Robert Meyer arbeitet am Institut für Humangenetik und Genommedizin der Uniklinik RWTH Aachen.

Bild: AdobeStock/corepics


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Letzte Änderungen: 29.01.2024