Editorial

Synthetische Biologie: Ingenieure des Lebens

Mario Rembold, Laborjournal 11/2022


(09.11.2022) Unter dem Etikett „Synthetische Biologie“ versammeln sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus unterschiedlichen Disziplinen. Eines haben aber alle gemeinsam: Sie betrachten das Leben aus den Augen des Ingenieurs.

Im Februar 2008 verkündete das Team um Craig Venter die chemische Synthese eines kompletten bakteriellen Genoms (Science 319(5867): 1215-20). Die knapp 600.000 Basenpaare kurze Sequenz von Mycoplasma genitalium hatten die Wissenschaftler in kleineren Stücken von 144 kb hergestellt und als bakterielle künstliche Chromosomen (BAC) in E. coli kloniert. In der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae konnten sie die vier Fragmente dann wieder als vollständig assembliertes Mycoplasma-Genom zusammensetzen.

Nur zwei Jahre später meldeten Venter und Co. einen weiteren Meilenstein: Sie hatten das Genom des Lungenseuchen-Erregers Mycoplasma mycoides nicht nur synthetisch nachgebaut, sondern auch in eine Bakterienzelle eingebracht. Und zwar in die der verwandten, aber nicht identischen Art Mycoplasma capricolum (Science 329(5987): 52-6). Die mit einigen zusätzlichen genetischen „Wasserzeichen“ versehene synthetische DNA ließ sich auch wieder ablesen und steuerte die Lebensprozesse in der Zelle einer anderen Spezies – und programmierte diese Zelle entsprechend um. Je nach Auslegung erschufen die Forscher hierdurch ein synthetisches Lebewesen.

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Illustration: Jose-Luis Olivares/MIT

Eigentlich nichts Neues

Zugegeben, man muss die Begeisterung für dieses angeblich synthetische Bakterium nicht uneingeschränkt teilen. Dass man Gene über Artgrenzen hinweg exprimieren kann, war auch vor knapp fünfzehn Jahren nicht neu. Und warum sollten sich Basensequenzen anders verhalten, nur weil sie im Reagenzglas zusammengesetzt wurden? Dennoch sieht Daniel Schindler, der in Marburg ein Labor am Max-Planck-Institut für Terrestrische Mikrobiologie leitet, darin wichtige Schritte der synthetischen Biologie. „Das Herstellen eines so großen DNA-Fragments ist ein Meilenstein, ebenso wie das Transferieren in eine neue Zelle.“ Zugleich zeigen diese Experimente eine Grenze beim Nachbau eines Lebewesens, und sei es noch so primitiv: Ohne eine „Wirtszelle“ für die DNA geht es bislang nicht. „An diesem Punkt stößt man auf das Henne-Ei-Problem“, so Schindler, „denn man braucht ja Proteine, um das Genom zu replizieren. Ich habe mich immer sehr dafür interessiert, Organismen irgendwann komplett nachbauen zu können.“

Man spricht hierbei vom Top-down-Ansatz, weil man sich an den bereits existierenden Lebewesen orientiert und mit deren Strukturen arbeitet. Vielleicht ist man eines Tages auch in der Lage, solch eine Zelle mit diversen Modifikationen selbst herzustellen. Die Bottom-up-Strategie versucht hingegen, das Leben gewissermaßen „von der Basis her“ zu verstehen und künstliche Zellen von Grund auf zu designen. Doch dazu später mehr.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass dieseDefinitionen zwar weiterhelfen, um sich in der synthetischen Biologie zu orientieren – sie sind aber nicht in Stein gemeißelt. Tatsächlich vereinen sich viele verschiedene Forscher und Forscherinnen unter der Fahne „synthetische Biologie“, die in ganz unterschiedlichen Disziplinen zuhause sind, etwa Mathematik, Physik, Molekularbiologie, Biotechnologie oder Medizin. Eine allumfassende Definition, der alle aus der Community der synthetischen Biologie zustimmen würden, dürfte daher schwer zu finden sein.

Ganz hilfreich erscheint aber die Einordnung in fünf typische Betätigungsfelder, die die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) als Orientierung in ihrem Zwischenbericht vom Juli 2022 auflistet. Zu diesen zählen: Design und Synthese von Genen und Genomen, Konzeption von genetischen Schaltkreisen, Maßgeschneiderte Stoffwechselwege, Erzeugung von Minimalorganismen und künstlichen Zellen sowie Xenobiologie.

Während seiner Doktorarbeit folgte Schindler zunächst den Fußstapfen von Venter und arbeitete mit bakteriellen Genomen. Als Postdoc im Labor von Patrick Cai an den Universitäten Edinburgh und später Manchester wagte er sich dann an den Nachbau eukaryotischer DNA heran. „Ich war dort im synthetischen Hefeprojekt Sc2.0 engagiert“, berichtet Schindler.

Eingebautes Cre/lox-System

Bei diesem Vorhaben geht es darum, das gesamte Genom der Bäckerhefe chemisch zu synthetisieren und die DNA auszutauschen. Das Projekt geht aber über ein reines Proof-of-Concept-Stadium hinaus, denn das synthetische Genom enthält einige Besonderheiten. „Hinter nahezu jedem nicht-essenziellen Gen ist eine Cre/lox-Rekombinase-Sequenz inseriert. Diese Markierungen können von einer Rekombinase erkannt werden und falls Cre zwei solcher Sequenzen zusammenbringt, kommt es zu Rekombinationen, die Deletionen, Inversionen, Translokationen oder Amplifikationen als Folge haben können.“

Die neuartige Hefe lässt sich hierdurch vergleichsweise einfach genetisch verändern. Während man bei einer klassischen Mutagenese meist nur einzelne Basen trifft, erreicht man via Cre/lox immer eine gesamte Gensequenz. Behandelt man viele Hefezellen mit der Rekombinase, kann man die massenhaft zufällig entstandenen Varianten selektieren – etwa auf Temperatur- oder Salztoleranz. „Das könnte für biotechnologische Ansätze spannend sein, zum Beispiel wenn man in großen Fermentern, anstatt mit Trinkwasser, sehr viel ökonomischer mit Meerwasser arbeiten möchte“, nennt Schindler ein Beispiel.

Die Chromosomen-Bastler stellen aber, so Schindler, auch essenzielle Fragen: „Wie kompakt können wir das Genom machen? Welche Sequenzen können wir löschen? Da befinden wir uns noch im Anfangsstadium.“

Der Mikrobiologe betont, dass hinter dem synthetischen Hefegenom ein großes internationales Konsortium steckt. Eine Auswahl von Arbeiten hierzu hat Nature Communications in einer Kollektion zusammengestellt (nature.com/collections/dhppvlvxxb); mit der Geschichte der Hefe als Arbeitspferd für das molekularbiologische Engineering bis hin zum Sc2.0-Projekt und darüber hinaus befasst sich ein Review von Schindler (Bioengineering 7(4): 137).

Von den 16 Chromosomen der Hefe hat man bislang siebeneinhalb gegen synthetische austauschen können, berichtet Schindler. Allerdings noch mit Einschränkungen. „Ein Stamm mit sechseinhalb synthetischen Chromosomen wächst aber fast so gut wie der Wildtyp.“ Über die Hürden beim Genom-Design und das notwendige „Debugging“ schreibt gegenwärtig ein internationales Autorenteam unter Federführung von Jef Boeke von der NYU Grossman School of Medicine in New York, der das Sc2.0-Projekt leitet. Eine Vorabversion ist bereits auf bioRxiv verfügbar (DOI: doi.org/jhv9).

Um Fehler möglichst früh zu finden, tauscht man die DNA-Abschnitte nur stückweise gegen das jeweilige synthetische Pendant aus. Fünfzig bis hundert Kilobasen hätten sich bewährt, so Schindler. „Dann bekommen Sie direkt ein Feedback, ob die Hefe lebensfähig ist oder einen Wachstumsdefekt hat.“ Nicht immer ist vorhersehbar, wann ein negativer Effekt auftritt. „Teilweise sind es die synthetisch eingefügten Elemente, die die Regulation von Genen verändern, und auch die Introns sind ein Thema. Die meisten können wir folgenlos herausnehmen, insgesamt sind das bei der Hefe auch nicht viele. Aber einige Introns haben sehr wohl eine Funktion. Das sieht man manchmal erst, wenn man mehrere Chromosomen-Stücke fusioniert hat, weil additive Effekte eine Rolle spielen.“

Stattet man einen einfachen Eukaryoten mit einem abgespeckten Genom aus, lernt man also auch etwas über die Funktion von Sequenzen, die man früher noch als Junk abgetan hätte. Beim Tüfteln an Genomen profitiert Schindler natürlich auch von neuen Errungenschaften der Molekularbiologie, etwa CRISPR-Cas. Sein Traum sind Module aus einem biologischen Werkzeugkoffer, die sich leicht an die eigenen Zwecke adaptieren lassen. Passend dazu leitet er in Marburg auch eine Biofoundry namens MaxGENESYS – das Präfix ist in Anlehnung an die Max-Planck-Gesellschaft gewählt. „Dieses Zentrum hatte Tobias Erb hier am Institut ins Leben gerufen“, so Schindler. Im Wesentlichen gehe es um Hochdurchsatz und die Automatisierung von Laborprozessen. „Gene synthetisieren wir nicht selbst, das kann die Industrie kostengünstiger anbieten“, erklärt er weiter. Bis zu zehn Kilobasen kann man inzwischen an einem Stück bestellen. Für die Assemblierung der Fragmente hält MaxGENESYS aber eigene Protokolle bereit. „Wir machen hier auch nicht bloß zehn Plasmide, sondern eher einige hundert am Stück“, betont Schindler. Das alles sei inzwischen schnell umsetzbar.

Synthetischer Stoffwechsel

Neben dem Nachbau oder Design ganzer Chromosomen sind natürlich auch die von den Chromosomen codierten Informationen spannend – etwa für das Entwerfen von Stoffwechselwegen, die in der Natur nicht vorkommen. Tobias Erb, der, so Schindler, „ gleich nebenan sitzt“, hat mit seiner Gruppe Enzyme aus verschiedenen Bakterien vereint, die den aus Chloroplasten bekannten Calvinzyklus verbessern und CO2 effizienter fixieren sollen. Die Marburger nennen diesen synthetischen Stoffwechselweg „CETCH-Zyklus“. Über das Projekt hatten wir bereits vor zwei Jahren in Laborjournal 6/20 ab Seite 18 (Link) berichtet.

Das ZKBS verortet auch die Xenobiologie in der synthetischen Biologie. Mit Xenobiologie ist aber nicht die Suche nach fremdartigen Lebensformen gemeint, sondern das biotechnologische Erweitern des genetischen Codes respektive proteinogener Aminosäuren. Definiert man zum Beispiel ein einzelnes Stopp-Codon um, baut eine dazu passende synthetische tRNA eine Designer-Aminosäure in das Protein ein.

Es geht aber noch exotischer: 2019 stellten Forscher Überlegungen zu einem genetischen Code an, der nicht auf Basentripletts beruht, sondern auf Vierergruppen von Basen – also Quadrupletts. Aus Computersimulationen schlussfolgerten sie, dass ein Quadruplett-Code die Protein-Evolution um 30 Prozent verringern würde. Mit diesem könnte man, so die Idee, hypo-evolvierende Organismen erzeugen, bei denen das Risiko sehr gering wäre, dass sie unkontrolliert in neue Nischen vordringen (Nucleic Acids Res. 47(19): 10439-51).

Eine andere Herangehensweise verfolgt die Biophysikerin Kerstin Göpfrich am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg. Ihr Team erzeugt künstliche Zellen, ohne Baupläne aus der Natur zu übernehmen. Stattdessen geht Göpfrichs Gruppe ziemlich unvoreingenommen an die Frage heran, was denn ein Lebewesen ausmacht. Je tiefer man hier einsteigt, desto unschärfer verläuft die Grenze zwischen komplexer Chemie und belebter Welt. „In unserem Feld sprechen wir weniger von tot und lebendig, sondern eher von einem Grad der Lebendigkeit“, erklärt sie. Schließlich könne kein Lebewesen ohne seine Umgebung existieren. „Der Grad der Lebendigkeit ist bei einem Virus sicher geringer als bei einem Menschen“, resümiert Göpfrich.

Die synthetischen Zellen aus ihrem Labor erreichen auf der Skala der Lebendigkeit derzeit nur einen geringen Wert. „Aktuell brauchen die noch sehr viel Input von außen, aber mit der Zeit werden unsere synthetischen Zellen ja vielleicht autonomer“, ist sie zuversichtlich.

Ein Merkmal des Lebens ist die Replikation. Dass man DNA im Reagenzglas vermehren kann, macht man sich zum Beispiel bei der PCR zunutze. DNA kann sich aber auch in künstlichen Vesikeln reproduzieren – auch Göpfrichs Gruppe hat bereits Vesikel hergestellt, die mit DNA und anderen Molekülen ausgestattet sind und sich teilen können (Nano Lett. 21(14):5952-7). Allerdings, so bestätigt Göpfrich, gibt es bislang noch keine künstlich hergestellte Zelle, in der eine Nukleinsäure sowohl für die eigene Replikation als auch für den Teilungsvorgang des Vesikels codiert – ganz zu schweigen von einer geordneten Aufteilung der DNA-Stränge auf die Tochter-Vesikel. „Der Link zwischen Information und Funktion fehlt also noch ganz häufig. Das ist eine Richtung, in die wir künftig gehen wollen.“

Göpfrich verfolgt einen Bottom-up-Ansatz, möchte also Prinzipien des Lebens von Grund auf denken, konstruieren und implementieren. Dabei ist es nicht wichtig, ob der Mechanismus auch bei Lebewesen existiert, die aus natürlicher Evolution hervorgegangen sind – ihr geht es vielmehr um die Frage, inwiefern man Prinzipien des Lebens verstehen und designen kann.

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Kerstin Göpfrichs Gruppe konstruierte mit der DNA-Origami-Technik künstliche Cytoskelette, die kleine Lipid-Vesikel transportieren können. Illustration: MPIMR

Patente entstehen nebenher

Ob das Ganze einen technischen Nutzen hat, ist für Göpfrich zweitrangig. „Für mich ist der Bau einer synthetischen Zelle etwas, was ich aus reiner Neugier mache“, bekennt sie voller Begeisterung. Trotzdem kommen von ihrer Gruppe diverse Patente, die aber anscheinend eher „nebenher“ anfallen. Als aktuelles Beispiel nennt sie ein Verfahren für einen Zwei-Photonen-3D-Laserdruck innerhalb von Lipid-Vesikeln (Adv. Mater. 34(6): e2106709). Der Laser sorgt dafür, dass an definierter Position ein Hydrogel innerhalb des Vesikels polymerisiert. Göpfrich und Kollegen konnten auf diese Weise Transmembran-Poren herstellen, durch die DNA und andere Fracht transportiert werden kann.

„In der synthetischen Biologie ist es ja immer ein bisschen wie mit dem Schiff in der Flasche“, veranschaulicht sie die Herausforderung, „und da haben wir uns überlegt, dass wir über einen Laser Strukturen innerhalb der Vesikel aufbauen und organisieren können“. Ein anderes Patent entstand aus der Frage, wie sich künstliche Lipid-Vesikel teilen lassen. Auch hierzu gab es in der Vergangenheit etliche Arbeiten: Je nach Beschaffenheit der Moleküle, die die Membran bilden, ändert sich ihr Krümmungsgrad.

Göpfrichs Gruppe untersuchte auch, wie man das Verhältnis zwischen Volumen und Oberfläche bei einem Vesikel erhöhen kann. „Da geht man als Physiker zurück an die Tafel und denkt erstmal theoretisch darüber nach. Und dabei sind wir auf die Osmolarität gekommen. Denn Wasser kann ja durch die Lipid-Vesikelhülle ausströmen, also können wir die Vesikel über die Osmolarität schrumpfen lassen.“ Das Team berechnete, wie das Verhältnis der Osmolarität erhöht werden muss, um ausreichend Oberfläche für eine Teilung zu erhalten (Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 60(19): 10661-9).

Der umgekehrte Weg funktioniert aber auch: „Wir haben gesehen, dass wir auch Vesikel in eine Lösung geben und anhand ihrer Form auf die Osmolarität zurückschließen können“, erklärt Göpfrich. Damit hatte die Gruppe einen Osmolaritäts-Sensor geschaffen. „Bisher musste man Proben einfrieren, um die Osmolarität zu messen – das ist für die Mikroskopie lebender Zellen natürlich ungeeignet“, verweist sie auf ein mögliches Einsatzfeld des Sensors.

Für Projektanträge könnten die Erfindungen hilfreich sein, vermutet Göpfrich. „Ich muss die künstliche Zelle nicht als Heilmittel gegen Krebs verkaufen, sondern weise auf die Technologien hin, die wir entwickeln, und auf unsere Patente. Die Werkzeuge, die wir bauen, sind nämlich teilweise sofort nutzbar und nicht erst in zehn Jahren.“

Göpfrichs Gruppe zählt auch zu den Vorreitern bei der Erzeugung von künstlichen Cytoskeletten aus DNA. „Cytoskelette haben ja viel mehr Dynamik und Funktion, als der Name Skelett vermuten lässt“, stellt Göpfrich klar.

Die Natur hat aber bereits etliche Protein-basierte Systeme entwickelt, um Zellen zu stabilisieren und Transportprozesse sowie Bewegungen zu koordinieren – wären da nicht Aktin und Mikrotubuli die besseren Vorbilder?

„Wenn man ein einzelnes Protein in einer synthetischen Zelle rekonstituieren will, ist das oft unproblematisch“, so Göpfrich. „Jedes zusätzliche Protein erhöht aber die Komplexität auf eine Weise, die für den Experimentator schnell unüberschaubar wird.“ Hinzu komme, dass einzelne Proteine spezielle Pufferbedingungen bevorzugen. Stattdessen mit DNA zu arbeiten, sieht Göpfrich daher als eine methodische Abkürzung.

Die DNA-Origami-Technik ist nicht neu, wie sich DNA mit ihr zu vorgegebenen Strukturen formt, versteht man inzwischen ganz gut. Ein Cytoskelett verhält sich aber auch als dynamisches System, das auf- und abgebaut wird. Die DNA-Fasern, die Göpfrichs Team hierzu konstruiert hat, erinnern stark an Mikrotubuli, wie in der Abbildung auf der gegenüberliegenden Seite zu sehen ist (Nat. Chem. 14(8): 958-63).

„Die kleinste Einheit dieser Struktur ist ein sogenanntes DNA-Tile“, erläutert Göpfrich. Diese „Kachel“ basiert auf fünf DNA-Strängen, die miteinander verknüpft sind. Jedes Tile sieht aus wie ein flacher Zylinder. „Das ist gewissermaßen unser Alpha-Tubulin“, vergleicht Göpfrich ihr Konzept mit einem natürlichen Cytoskelett. Die einzelnen Tiles lassen sich zu langen Fasern polymerisieren und auch wieder de-assemblieren – alles über komplementäre Basenpaarung.

Die Heidelberger schaffen es bereits, eine Fracht entlang der DNA-Filamente zu transportieren, zum Beispiel kleine Lipid-Vesikel. „Die Partikel, die ich transportieren will, muss ich mit der DNA verknüpfen. Wir verwenden dafür einen Cholesterol-Tag, weil sich der leicht in eine Vesikel-Membran einbauen lässt“, erklärt die Physikerin. Aus den DNA-Skelett-Filamenten ragen kurze einzelsträngige RNA-Stücke heraus. Auf der Fracht sind Einzelstrang-DNA-Fragmente angebracht, die zu diesen komplementär sind. „Wir nutzen einen sogenannten Burnt-Bridge-Mechanismus“, führt Göpfrich weiter aus. „In diesem Fall verwenden wir eine RNase H, die DNA-RNA-Hybride zerschneidet. Die Verbindung wird dann zufällig irgendwo zerschnitten, sodass es zu einem Symmetriebruch kommt.“

Ab diesem Punkt kann die gebundene Fracht nur noch in eine Richtung weiterrollen und dort neu hybridisieren. Ein Nachteil sind noch die „abgebrannten Brücken“, also die zerschnittenen DNA-RNA-Stücke, die sich nicht wieder regenerieren. „Bislang geht der Transport also nur einmal“, so Göpfrich.

Für konservative Zellbiologen mag es seltsam sein, DNA dort einzusetzen, wo in der Natur Proteine ihr Werk verrichten. Aus Sicht des Zell-Konstrukteurs ist DNA aber recht praktisch. Außerdem, so betont Göpfrich, könnten Nukleinsäuren auch früh in der Entstehung des Lebens eine viel größere Rolle als RNAzyme und DNAzyme gespielt haben – Stichwort RNA-Welt-Hypothese. „Und denken Sie an die Ribosomen“, ergänzt Göpfrich, „die sind ja ein Beispiel für eine extrem komplexe Nukleinsäure“.