Vorsicht! Heiß und exotisch
(22.09.2020) In einem Keller der Universität Regensburg steht ein weltweit einzigartiges Zuchtlabor für Archaeen. Ein Blick hinter die Kulissen mit Harald Huber.
Über vierzig Jahre nach der Entdeckung der Archaeen ist es immer noch ganz große Laborkunst, diese Organismen zu vermehren. Kapriziös sind nicht nur diejenigen Spezies, die unter extremen Bedingungen leben, welche sich im Labor nicht so einfach in den Griff kriegen lassen. Nein, selbst Arten mit anscheinend sehr gewöhnlicher Lebensweise entpuppen sich als echt widerspenstig. Ein Beispiel: „Jeder Mensch hat auf seiner Haut Archaeen, aber es ist trotzdem noch niemandem geglückt, diese Organismen zu kultivieren,“ sagt Harald Huber. Auch ihm ist es bisher nicht gelungen. Dabei ist der leitende Wissenschaftler des Archaeen-Biotechnikums der Universität Regensburg ein echter Künstler in dieser Disziplin.
Bereits in den frühen Tagen der Archaeenforschung war die Kultivierung der exotischen Organismen ein zentrales Thema. „Wir haben zu Beginn mehr Materialforschung als Biologie gemacht“, flachst Huber. Niemand wusste, wie man Organismen wie beispielsweise Sulfolobus acidocaldarius kultivieren kann, der bei pH 2 und Temperaturen von achtzig Grad lebt. „pH 2 ist echt extrem. Ich habe mal mit einer Pinzette ein Stückchen Fleisch reingesteckt. Das war nach drei Minuten aufgelöst.“
Glühend heißer Dampf
In Reih und Glied stehen die Kulturgefäße im Technikum und fassen zwischen 16 bis 300 Liter. Alle sind doppelwandig, damit heißer Wasserdampf die Kulturflüssigkeit auf Temperaturen bis zu 120 Grad Celsius bringen kann. Die massiven Verschlüsse am Deckel halten bis zu fünf Bar stand. Einen Tag bevor ein Fermenter über eine spezielle Öffnung angeimpft wird, rührt Ingenieur Thomas Hader das Medium zusammen und startet das Gerät. Innerhalb von rund drei Stunden autoklaviert sich der Fermenter quasi selber. Dann beimpfen die Regensburger das Medium mit einer 200-Milliliter-Vorkultur, die sie zuvor aus fünf Mikroliter Ausgangsmaterial über mehrere Vermehrungsschritte in kleinen Druckflaschen aufgepäppelt haben.
„Manche Archaeen wachsen sehr schnell, andere unendlich langsam. Und wir wissen nicht, warum das so ist“, sagt Huber. Je nach Spezies schwankt die Ausbeute aus einem Dreihundert-Liter-Ansatz zwischen 400 mg und eineinhalb Kilo. Irgendwann – nach zwei Tagen oder erst nach zwei Monaten – ist Erntezeit. Dann öffnet Hader, der technische Leiter der Anlage, den Hahn am Boden des Kulturgefäßes und lässt das Medium samt Archaeen zur Gegenstromanlage laufen. Hier kühlt es innerhalb von fünf Minuten auf vier Grad Celsius ab. Bei langsamerer Abkühlung würden sich die Archaeen verändern, ihren Metabolismus umstellen und mitunter sogar absterben.
Auch auf Bestellung
Nach dem Temperatursturz wird die Flüssigkeit in eine Durchlaufzentrifuge gesprüht. Die Organismen setzen sich an einer außen liegenden Teflonfolie ab. Sind auch die letzten hundert Milliliter Kulturmedium in der Zentrifuge herumgewirbelt worden, nimmt Hader die Teflonfolie heraus, friert sie in flüssigem Stickstoff ein, schabt die Archaeen bröckchenweise herunter und lagert sie bei minus achtzig Grad Celsius in der Tiefkühltruhe bis zur Auslieferung. Im Keller wird nämlich nicht nur für den Eigenbedarf produziert, sondern auch auf Bestellung. „Das hier“, sagt Hader und hält einen Beutel mit einigen Fünfzig-Milliliter-Falcon-Röhrchen hoch, „ist eine sehr wertvolle Auftragsarbeit, weil die Archaeen für NMR-Untersuchungen speziell markiert werden mussten.“
Nicht nur Massenproduktion, auch die Archivierung reiner Kulturen zählt zu den Aufgaben des Instituts. Weder technisch noch biologisch ist eine Reinkultur eine triviale Angelegenheit. In den „wilden Zeiten“ der Archaeenforschung zogen die Wissenschaftler Kultivate aus Umweltproben. Dabei haben sich, das weiß man heute, die am wenigsten empfindlichen Spezies durchgesetzt. Vermutlich gingen etliche Arten verloren.
Gute alte Technik
Da die Organismen nicht auf festen Nährböden wachsen, mussten einzelne Zellen aus Flüssigkeitskulturen isoliert werden. Dafür wurde am Institut eine „optische Pinzette“ gebaut, bestehend aus einem invertierten Mikroskop, einem Laser sowie einem Computer. Der HP-Vectra-Computer hat noch Diskettenlaufwerke, und der Bildschirm trägt das rundliche Design der Achtzigerjahre.
„Reinkulturen von Archaeen anzulegen, ist für die Forschung sehr wichtig. Mitunter ist das aber gar nicht möglich, denn in vielen Fällen benötigen sie Partner, um zu wachsen“, gibt Huber zu bedenken. Tatsächlich fanden die Forscher vor vielen Jahren auch in ihrem Schatzkästchen Mischkulturen. Die hatten sie durch damals noch sehr teures Sequenzieren identifiziert und anschließend neu aufgereinigt. Das Wort „unkultivierbar“ mag der Forscher aber nicht benutzen. „Unkultivierbare Archaeen gibt es nicht. Wenn wir sie nicht vermehren können, heißt das nur, dass wir die Kulturbedingungen nur noch nicht kennen.“
Karin Hollricher
Foto: K. Hollricher
Dieser hier gekürzte Artikel erschien in ausführlicherer Form zuerst im Laborjournal 09/2020. In diesem Heft erfahren Sie im großen Archaeen-Special noch vieles mehr über die Einzeller.