Flexible Protein-Modifikatoren
(16.12.2021) Mit ihren TrypCoZymen wollen vier Hallenser Forscher Krebstherapien verbessern. Ihr Start-up namens TrypCo steht bereits in den Startlöchern.
Biokatalysatoren aka Enzyme ermöglichen oder beschleunigen Stoffumwandlungen, ohne dabei jemals selbst verbraucht zu werden. Kein Wunder, dass die kleinen Helferlein gerne von Chemikern und Biotechnologen zweckentfremdet werden. Mit ihrer Hilfe lassen sich wunderbar wichtige Verbindungen für die Industrie herstellen, wie zum Beispiel für Medikamente, Pflanzenschutzmittel oder für den Laborbedarf. Das Problem dabei ist nur, dass die Wildtyp-Enzyme nicht besonders selektiv arbeiten, wenn es darum geht, synthetische Verbindungen herzustellen, die die Natur eigentlich nicht für sie vorgesehen hat. Setzt man sie in ihrem Ursprungszustand ein, erzeugen sie meist kein homogenes Wunschprodukt, sondern ein Gemisch aus vielen Unbekannten.
Naheliegend also, dass der Mensch versucht, Biokatalysatoren zu seinem Nutzen zu optimieren. So auch Marcus Böhme (im Bild), der in der Arbeitsgruppe von Frank Bordusa an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg genau daran forscht. In seiner Doktorarbeit hat er es geschafft, einen Trypsin-basierten Biokatalysator, dieTrypsiligase, so zu verbessern, dass dieser die für ihn vorgesehene Aufgabe deutlich effizienter erfüllt – nämlich Proteine gezielt mit neuen Funktionen auszustatten.
Ausgezeichnete Dissertation
Die Trypsiligase verknüpft dabei das Zielprotein mit einem Peptid mit Wunschfunktion. Um sich das Enzym „gefügig zu machen“, hat Böhme ein evolutives Enzym-Engineering etabliert. Mithilfe dieser Methode konnte der Wissenschaftler zahlreiche Trypsiligase-Varianten mit verbesserten Eigenschaften innerhalb einer großen Varianten-Bibliothek identifizieren und die vielversprechendste Enzym-Variante für weitere Arbeiten auswählen. Für seine Dissertation wurde Böhme kürzlich sogar mit dem Transferpreis 2021 der Stadtwerke Halle ausgezeichnet.
Mittlerweile ist die Arbeitsgruppe um Böhme und Bordusa schon einen ganzen Schritt weiter. Unterstützt von der BioPharma Translationsinstitut Dessau Forschungs GmbH (BTI) entwickelten sie die enzymatische Plattform-Technologie TrypCo. Hierzu nutzen die Forscher einige der verbesserten Trypsiligase-Varianten, die sie TrypCoZyme nennen. „Unsere TrypCoZyme ermöglichen eine effiziente C- und N-terminale Modifikation von Proteinen anhand einer kurzen Erkennungssequenz“, erklärt Böhme und fährt fort: „Im Gegensatz zum Wildtyp-Trypsin, welches als Peptidase die Hydrolyse von Peptidbindungen in Proteinen katalysiert, ermöglichen TrypCoZyme die Spaltung und gleichzeitig die Neuknüpfung einer Peptidbindung.“
Letztendlich kann so ein Zielprotein über eine Peptidbindung an ein extern zugeführtes Peptid mit gewünschter Funktionalität geknüpft werden, und zwar ortsspezifisch an der genau dafür vorgesehenen Stelle im Protein. Das Zielprotein kann punktgenau mit unterschiedlichen Wunschfunktionen, wie zum Beispiel Fluoreszenzfarbstoffen, Affinitätsliganden, Polymeren oder auch Toxinen, ausgestattet werden. Was die Art des Zielproteins, aber auch die Funktionalität angeht sind die TrypCoZyme sehr flexibel.
Einzigartige Sequenzen
„Ein weiterer Vorteil der TrypCo-Technologie ist, dass wir verschiedene TrypCoZyme mit jeweils einzigartigen Erkennungssequenzen entwickelt haben“, berichtet Böhme. Die Erkennungssequenzen können an unterschiedlichen Regionen des Zielproteins eingeführt werden. Das macht die Modifikation eines Proteins mit zwei unterschiedlichen Funktionalitäten möglich. Da die TrypCoZyme keine Kreuzreaktivität zeigen, kann die duale Modifikation sogar in nur einem Konjugationsansatz ablaufen.
Vor allem für die Krebstherapie könnte die TrypCo-Technologie von großer Bedeutung sein. Zur gezielten Tumortherapie nutzen Mediziner derzeit häufig eine vielversprechende Klasse von Biopharmazeutika, sogenannte Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (engl. Antibody-Drug Conjugates, ADCs). Ähnlich wie bei der klassischen Chemotherapie werden hierbei zytotoxische Wirkstoffmoleküle zur Abtötung von Tumorzellen eingesetzt. Es gibt aber einen bedeutenden Unterschied – das toxische Molekül ist an einen Tumor-spezifischen Antikörper gebunden und wird zielgerichtet zur Tumorzelle transportiert. Erst wenn es seinen Zielort erreicht hat, wird das toxische Wirkstoffmolekül freigesetzt und tötet die Tumorzelle ab.
Toxisches Gemisch
An gesunde Körperzellen binden die spezifischen Antikörper-Wirkstoff-Konjugate nicht. Gesunde Zellen werden also in der Regel nicht geschädigt und toxische Nebenwirkungen deutlich verringert. „Dennoch sind die bisher zugelassenen ADCs nicht frei von Nebenwirkungen und bieten Potential zur Verbesserung“, sagt Böhme und erklärt: „Tatsächlich werden alle derzeit zugelassenen ADCs durch chemische Konjugationsmethoden hergestellt, welche größtenteils zu sehr heterogenen Produktgemischen hinsichtlich Toxinbeladung sowie dem Ort der Konjugation führen und teilweise über labile Bindungen fusioniert sind. In solchen Produktgemischen finden sich unter anderem Spezies, welche toxische Nebenwirkungen bedingen oder solche, bei denen das Wirkmolekül schon vor dem Erreichen des eigentlichen Wirkorts den Wirkstoff verliert.“
Der Vorteil, den die TrypCo-Technologie hierbei bietet, liegt auf der Hand: Durch die ortsspezifische Modifikation der Proteine – in diesem Fall Antikörper – über spezifische Erkennungssequenzen, entstehen ADCs mit homogener Wirkstoffbeladung. Antikörper und Wirkstoff sind über stabile Peptidbindungen verknüpft. Zudem kann die Verknüpfung von Antikörper und Wirkstoff im biologischen Puffersystem stattfinden, es müssen keine Reduktionsmittel, Kofaktoren oder organische Lösungsmittel zugesetzt werden. Dies alles wirkt sich positiv auf die Sicherheit und therapeutische Effizienz aus.
Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit der dualen Modifikation. So können Multidrug-ADCs hergestellt werden, die mit zwei unterschiedlichen Toxinen ausgestattet sind, welche den Zelltod über verschiedene Mechanismen bewirken. Auch die Entwicklung bispezifischer ADCs ist möglich, die zwei unterschiedliche Antigene binden können. „Diese innovativen ADC-Formate haben das Potential, das Anwendungsspektrum sowie die therapeutische Wirksamkeit von ADCs zu erweitern, womit die TrypCo-Technologie zur Weiterentwicklung des ADC-Konzeptes beitragen kann“, so Böhme.
Finale Kandidaten-Identifizierung
„Um die TrypCo-Technologie nun auch für eine industrielle Anwendung bereitstellen zu können, forcieren wir aktuell die Gründung eines Start-ups“, erzählt uns der Wissenschaftler. Aktuell arbeiten mit Böhme noch drei weitere Mitarbeiter an dem Gründungsprojekt: der Biochemiker René Wartner (zukünftiger CEO), der Biochemiker Andreas Simon (zukünftiger Projektmanager) und MBA Ricardo Azuero (zukünftiger CBO). Marcus Böhme, der selbst Biochemiker ist, nimmt zukünftig die Rolle des CSO ein. Böhme verrät: „Aktuell beschäftigen wir uns mit der Entwicklung eines ADCs, welches auf der Basis der TrypCo-Technologie hergestellt wird. Hier sind wir in den Endzügen der Identifikation eines geeigneten Lead-Kandidaten, welcher anschließend präklinisch evaluiert werden soll. Sollte sich dieser als geeignet für eine klinische Prüfung erweisen, bildet dies eine solide Grundlage für die Gründung des Start-ups.“ Die klinische Prüfung würden Böhme und Kollegen dann gerne in Zusammenarbeit mit erfahrenen Partnern aus der Pharmaindustrie durchführen.
Für die Zukunft planen Böhme und seine Kollegen neben der Entwicklung eines eigenen Antikörper-Wirkstoff-Konjugates, die TrypCo-Technologie auch für Pharmafirmen durch Auslizenzierung oder gemeinschaftliche Kooperationsprojekte zugänglich zu machen. So könnten auch Produktentwicklungen jenseits der Antikörper-Wirkstoff-Konjugate verwirklicht werden.
Eva Glink
Bilder: Trypco (bearbeitet von LJ)
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