Editorial

Pandemie passé?

(22.05.2023) Einige Corona-Monitoring-Projekte haben mittlerweile ihre Arbeit eingestellt. Zum Teil geht die Zusammenarbeit der Projektpartner aber dennoch weiter.
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Die im Dezember 2019 ausgebrochene Corona-Pandemie scheint endgültig Geschichte. Nicht nur sind alle Pandemie-bedingten Beschränkungen aufgehoben und die Impfempfehlungen angepasst worden, auch Bundes­gesundheits­minister Karl Lauterbach hat die Pandemie in Deutschland Anfang April für beendet erklärt. Und so hat auch die Hamburg-Surveillance-Plattform (HHSurv) Ende März nach etwas mehr als zwei Jahren offizieller Laufzeit ihre Arbeit eingestellt.

Das Projekt zur molekularen Überwachung von SARS-CoV-2-Virus­varianten war ein Gemeinschafts­projekt vom Universitäts­klinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und dem Leibniz-Institut für Virologie (LIV) in Hamburg. Seit Februar 2021 waren im Rahmen von HHSurv rund 16.000 viruspositive Proben aus allen Stadtteilen Hamburgs sequenziert worden, um die genetische Vielfalt des Virus im Großraum Hamburg zu erfassen und neue Virusvarianten frühzeitig entdecken zu können. In wöchentlichen Lageberichten wurden die Ergebnisse sowohl der Gesundheits­behörde Hamburg wie auch der Öffentlichkeit vorgestellt.

Editorial

Für den Ernstfall gerüstet bleiben

Als Grund für das Auslaufen von HHSurv nennt die Presse­mitteilung des UKE die veränderte Infektionslage und die erhöhte Immunität in der Bevölkerung. Allerdings ist zu vermuten, dass die Impfbereitschaft in den nächsten Jahren abnehmen wird. Hinzu kommt, dass gesunde Kinder laut STIKO-Empfehlung überhaupt nicht mehr gegen SARS-CoV-2 geimpft werden sollen. Hierdurch steigt das Risiko, dass neue Virus­varianten auftreten. Wäre es da nicht sinnvoll, ein funktionierendes Surveillance-Verfahren beizubehalten?

Tatsächlich haben die HHSurv-Projektpartner schon vor der Pandemie zusammen­gearbeitet und werden auch weiterhin ihre langjährige Zusammenarbeit zur Erkennung von viralen Pathogenen in diagnostischen Proben durch Hochdurchsatz-Sequenzierung (HTS) fortsetzen. „Wir sind daran interessiert, bioinformatische und präanalytische Methoden zu entwickeln, um bekannte, sich verändernde und neu auftretende Viren mittels HTS detektieren und anschließend taxonomisch zuordnen zu können“, erklären die Projekt­verantwortlichen gegenüber Laborjournal. Das sind auf Seiten des UKE Nicole Fischer und Martin Aepfelbacher vom Institut für Medizinische Mikrobiologie sowie Adam Grundhoff als Leiter der Virusgenomik am LIV. „Unsere langjährige gemeinsame Forschung auf diesem Gebiet hat uns in eine Position gebracht, in welcher wir unmittelbar unsere Erfahrungen für die SARS-CoV-2-Infektions­kontrolle anwenden konnten. Durch die Fortsetzung und Weiter­entwicklung unserer Zusammenarbeit auf dem Gebiet sind wir damit auch für den ‚Ernstfall‘ gerüstet“, sind die drei Wissenschaftler überzeugt.

Arbeit Hand in Hand

Laut den Projektpartnern begann HHSurv eigentlich schon am 27. Februar 2020 mit dem ersten bekannten SARS-CoV-2-Fall in Hamburg: „Uns war schnell klar, dass wir eine genomische Surveillance aufbauen müssen, um die Ausbreitung des Erregers zu verfolgen, Virus­varianten frühzeitig zu erkennen und Ausbrüche aufzuklären. Wir als UKE haben natürlich auch hinsichtlich Patienten­versorgung und Sicherheit ein großes Interesse, SARS-CoV-2-Varianten erkennen und verfolgen zu können, um mögliche Übertragungs­ereignisse im Krankenhaus unmittelbar zu identifizieren und gezielte Infektions­kontrollen und Interventionen anzuwenden.“ Mit Unterstützung der Gesundheits­behörde Hamburg startete im Februar 2021 HHSurv dann auch offiziell – vor dem Hintergrund der noch fehlenden Immunität in der Bevölkerung als „dringliches Werkzeug der Infektionskontrolle“.

Für den Erfolg war vor allem die enge Zusammen­arbeit zwischen UKE und LIV entscheidend. Denn während das UKE über eine hochmoderne molekulare Diagnostik mit automatisierten PCR-Verfahren verfügt und anfangs sogar die einzige Einrichtung in Hamburg war, die SARS-CoV-2 über PCR nachweisen konnte, ist die LIV-Forschungs­einheit „Virale Genomik“ mit ihrer Technologie-Plattform der Hochdurchsatz-Sequenzierung auf den Nachweis von Infektions­erregern spezialisiert.

Zu teuer und nicht mehr repräsentativ

„Durch unsere bestehende Zusammenarbeit war es einfach, einen Arbeitsablauf zu etablieren, bei dem die Proben zunächst am UKE vorbereitet und auf SARS-CoV-2 bestimmt wurden, bevor sie am LIV sequenziert und bioinformatisch ausgewertet wurden. Die Daten wurden dann gemeinsam bewertet und kommuniziert“, so die HHSurv-Projektpartner. „Wichtige Schnittstellen, die es allerdings zu etablieren gab, waren die Zusammenarbeit mit niedergelassenen Laboren in Hamburg, die uns unterstützt haben, um 200 Proben pro Woche aus verschiedenen Bezirken Hamburgs anonymisiert zur Verfügung zu stellen. Ebenso wichtig war die Zusammenarbeit mit der Gesundheits­behörde und anderen Einrichtungen des öffentlichen Gesundheits­dienstes, um Inzidenzen aus den Bezirken zu kennen und Ansprech­partner zu haben, sodass unsere Erkenntnisse auch ausgetauscht und diskutiert werden konnten.“

Inzwischen hat sich die Immunität gegen SARS-CoV-2 in der Bevölkerung durch Infektion oder Impfungen im Vergleich zu den ersten Wellen der Pandemie verändert, sodass eine kosten­intensive genomische Surveillance zur Infektions­kontrolle nicht mehr sinnvoll ist. „Außerdem wird nicht mehr jeder Infizierte erfasst, getestet und schon gar nicht per PCR die Infektion bestätigt“, so die Virologen. „Somit ist HHSurv nicht mehr repräsentativ für die SARS-CoV-2 Varianten in der Hamburger Bevölkerung.“ Wichtig sei aber, die entstandenen Schnittstellen der Zusammenarbeit aufrecht­zuerhalten, um Kompetenzen und Wissen der verschiedenen Bereiche, Forschung, Patienten­versorgung und öffentliche Gesundheit zu bündeln: „Während der Pandemie haben wir gelernt, wie diese Bereiche miteinander kommunizieren können, und es ist wichtig, dass wir diese Fähigkeit nicht verlernen, sondern im Gegenteil weiter ausbauen und nutzen.“

Quo vadis Abwasser-Monitoring?

Ein anderer Ansatz, um die SARS-CoV-2 Infektions­dynamik zu verfolgen, ist das Abwasser-Monitoring. Hier werden auf einen Schlag die Ausscheidungen einer großen Zahl von Menschen durch PCR analysiert, wobei auch asymptomatisch Infizierte erfasst werden. Aus den Ergebnissen lassen sich Infektions­zahlen berechnen, und auch die Ausbreitung von Virus­varianten kann verfolgt werden. Die Europäische Kommission hat ihren Mitglieds­staaten deshalb die Einführung eines flächen­deckenden Abwasser-Monitorings empfohlen, wie Laborjournal im Artikel „Aufschlussreiche Ausscheidungen“ vor etwas mehr als zwei Jahren berichtete.

Wir haben bei den damals vorgestellten Projekten nachgefragt, wie der Stand der Dinge ist und zumindest aus München und Berlin Antwort bekommen. In München überwacht seit März 2020 ein Pilotprojekt des Tropeninstituts des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) die Ausscheidungen von 500.000 Münchnern und war damit während der Pandemie den Inzidenz-Meldezahlen der Behörden, die auf Atemwegs­abstrichen basierten, um rund drei Wochen voraus (Sci Total Environ, 797:149031). Auf die Frage, wie sich das Projekt entwickelt habe, schreibt uns Studienleiter Andreas Wieser: „Wir setzen unser Monitoring fort und erweitern dieses. Die aktuellen Projekte beinhalten eine hydraulische Simulation der Wasserwege im Abwasser­system und die Einbeziehung weiterer Pathogene.“ Überwacht würden das Stadtgebiet und München sowie der internationale Flughafen; Kooperationen gäbe es mit den afrikanischen Ländern Tansania und Äthiopien. Die Ergebnisse des dreijährigen Überwachungs­zeitraums werden aktuell in einer Publikation zusammengefasst.

Politik am Zug

In Berlin lief seit Februar 2021 eine ähnliche Studie unter Leitung von Altuna Akalin vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (Sci Total Environ, 853:158931). In Zusammenarbeit mit den Wasserbetrieben wurden damals Abwasserproben aus vier Berliner Klärwerken untersucht und die Ergebnisse mithilfe des computer­gestützten Werkzeugs „PiGx SARS-CoV-2“ grafisch so aufbereitet, dass sich Infektions­dynamik und Ausbreitung von zirkulierenden Virusvarianten zeitgleich an verschiedenen Orten verfolgen ließen. Die Berliner Wasserbetriebe (BWB) haben laut Akalin das Monitoring inzwischen an eine Firma ausgelagert.

Auch Markus Landthaler, der ebenfalls am Projekt beteiligt war, und am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin die Arbeitsgruppe „RNA-Biologie und post­transkrip­tionelle Regulation“ leitet, hat in den letzten Monaten nicht mehr verfolgt, was aus dem Monitoring geworden ist. „Wir haben aber noch eine Arbeit auf einem PrePrint-Server publiziert (bioRxiv, doi.org/kbpj), in der wir beschreiben, dass das Abwasser gleichzeitig auf 130 human pathogene Viren untersucht werden kann“, sagt er. „Dabei finden wir auch durch Sequenzierung zuvor unbekannte Bakterio­phagen und Viren im Abwasser.“

Die Europäische Kommission hält an ihrer Empfehlung für ein flächendeckendes infektio­logisches Abwasser-Monitoring fest, doch in Deutschland sei vieles noch unklar, sagt LMU-Forscher Wieser – etwa wer die entsprechenden Messungen durchführen und wer dafür bezahlen soll. Hier muss die Politik Klarheit schaffen und zwar, bevor die während der Corona-Pandemie gewonnenen Kompetenzen und Strukturen wieder verloren gehen. Denn die nächste Pandemie kommt bestimmt. Wir wissen nur noch nicht wann und welche.

Larissa Tetsch

Literatur zu HHSurv:

Czech-Sioli M. et al. (2022): Integration of sequencing and epidemiological data for surveillance of SARS-CoV-2 infections in a tertiary-care hospital. Clin Infect Dis: ciac484.

Nakel J. et al. (2022): Comparing susceptibility and contagiousness in concurrent outbreaks with a non-VOC and the VOC SARS-CoV-2 variant B.1.1.7 in daycare centers in Hamburg, Germany. Int J Hyg Environ Health, 240:113928.

Pfefferle S. et al. (2021): SARS-CoV-2 variant tracing within the first COVID-19 clusters in Northern Germany. Clin Microbiol Infect, 130.e5-130.e8.

Bild: Pixabay/Tonywuphotography


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Letzte Änderungen: 22.05.2023