Editorial

Gestresst, überarbeitet, verunsichert

(12.06.2023) Ein Postdoc hat’s schwer. Das ergab eine Umfrage unter Forschern an Max-Planck-Instituten. Auch das BMBF hat keine besseren Ideen für das WissZeitVG.
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Die Kommentare, die das BMBF nach seiner Ankündigung eines weiteren Reformversuchs des WissZeitVG Anfang Juni auf Twitter verpasst bekam, fielen recht eindeutig aus. „Epic Fail“, „Verschlimm­besserung“, „Was für ein Wahnsinn!“ Dabei war von der Drei­jahres­regel nach der Promotion, die Volker Haucke im LJ-Gespräch noch als „Berufs­ausübungs­verbot“ bezeichnet hatte, im neuen Referenten­entwurf gar nicht mehr die Rede.

Dafür hatte sich das Ministerium ein neues 4+2-Modell ausgedacht: Die Höchst­befristungs­dauer nach der Promotion beträgt demnach nicht mehr wie bisher sechs, sondern vier Jahre (mit Verlängerungs­option bspw. wegen Kinderbetreuung oder Erkrankung). Diese Maximal­befristung kann nur dann um zwei weitere (befristete) Jahre verlängert werden, wenn der Arbeitgeber anschließend eine unbefristete Stelle zusichert („Anschlusszusage“). „Möglichst frühzeitig, aber in der Regel spätestens nach vier Jahren Qualifizierungs­befristung soll sich entscheiden, ob Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler eine Perspektive auf eine dauerhafte Beschäftigung in der Wissenschaft haben“, begründet das BMBF. In seinem Entwurf schlägt das Ministerium außerdem Mindest­vertrags­laufzeiten vor: Drei Jahre für Doktorandinnen, zwei Jahre für Postdocs und ein Jahr für Studenten.

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Nicht konsensfähig

Dass dieser Entwurf als Gesetz tatsächlich demnächst in Kraft tritt, ist eher unwahrscheinlich. Denn das FDP-geführte Ministerium ist offenbar ohne die Zustimmung der Koalitions­partner der Regierung vorgeprescht. SPD und Grüne zeigten sich alles andere als begeistert von den Plänen des BMBF.

So schrieb Nina Stahr, Sprecherin für Bildung, Forschung und Technik­folgen­abschätzung der Grünen in einem Statement: „Dass wir jetzt trotz der bereits sehr langen Verhandlungen noch kein abschließendes Ergebnis haben, bedauern wir, aber der letzte Vorschlag des BMBF war für uns Bündnisgrüne noch nicht konsensfähig. In der Post-Doc-Phase konnten insbesondere unsere Bedenken nicht ausgeräumt werden, dass das Modell einer vorgezogenen Anschluss­zusage in der vorgeschlagenen Form den angestrebten Effekt hat: Verlässlichkeit und Planbarkeit zu erhöhen, ohne den Druck auf individuelle Wissen­schaftler*innen noch zu verstärken.“ Und auch Stahrs Kollegin von der SPD Carolin Wagner teilte auf Twitter mit, dass ihre Partei dem Entwurf nicht zustimmen konnte, da die Entfristungs­regelung „zu spät greift“.

Ähnliches kritisierte auch #IchbinHanna-Mitinitiatorin Amrei Bahr im NDR-Interview: „Wenn die Arbeitgeber vier Jahre befristen können, dann reicht das, um die Arbeitsleistung der Postdocs zu nutzen, um trotzdem anschließend zu sagen: wir beschäftigen euch jetzt nicht unbefristet weiter. Und das geht einfach an der Zielsetzung vorbei.“

Realitätsabgleich

Das BMBF bestätigt auf der FAQ-Seite zur WissZeitVG-Novellierung, dass unbefristete Stellen nicht das primäre Ziel der Reform sind. „Führt die Reform des WissZeitVG zu mehr unbefristeten Stellen?“ lautet eine Frage. Die Antwort: Nein, „das ist Aufgabe der Hochschulen und Forschungs­einrichtungen in ihrer Funktion als Arbeitgeber.“ So oder so muss sich das Ministerium wohl nochmal auf den Hosenboden setzen, und seine Vorstellungen mit der Realität an deutschen Forschungs­einrichtungen abgleichen. Zum Beispiel mit der Realität von Postdocs an Max-Planck-Instituten.

Dabei könnte der kürzlich veröffentlichte Max Planck Survey Report 2022 helfen. Mehr als 650 Postdocs an über 50 MPIs in Deutschland und im Ausland beantworteten dafür circa 120 Fragen rund um Arbeits­bedingungen, Karriere und persönliches sowie berufliches Wohlbefinden.

Unter anderem haben 10 % der Befragten angegeben, dass sie seit über fünf Jahren Postdoc sind, 25 % seit drei oder mehr Jahren. Diese Zahlen deuten an, wie viele Postdocs von der WissZeitVG-Reform mit verkürzter Postdoc-Phase betroffen wären, heißt es dazu im Survey. Also nicht gerade wenige. Aber: „Viele Postdocs wollen weiterhin in der Academia arbeiten, trotz der Tatsache, dass es nur eine begrenzte Zahl an Dauerstellen für wissenschaftliches Personal gibt.“

Wochenendarbeit, kaum Urlaub

Und dafür klotzen sie richtig ran. Obwohl fast 90 % der Befragten 39- oder 40-Wochenstunden-Verträge haben, sagt mehr als die Hälfte (64 %), sie arbeitet länger, und auch an Wochenenden. Rund 4 % schuftet sogar mehr als 60 Stunden die Woche. „Das zeigt, dass Arbeits­überlastung unter MPG-Postdocs sehr verbreitet ist“, lautet eine Erkenntnis. Nicht besser sieht es aus mit den Urlaubstagen. Ganze 30 stehen den meisten Postdocs zu. Nur 35 % der Befragten gaben an, dass sie wenigstens 22 Urlaubstage im Jahr genommen haben. „Beunruhigend wenig“, so die Survey-Autoren.

Dennoch ist das generelle Wohlbefinden der Max-Planck-Postdocs einigermaßen gut, 83 % würden sich als „moderately happy“ bezeichnen. Allerdings stellten die Studien-Autoren bei etwa der Hälfte der Befragten milde depressive Symptome oder leichte Angst­zustände fest. Einer von fünf Postdocs zeigte jedoch laut dem Gesundheits­fragebogen für Patienten, kurz PHQ-D, Anzeichen einer mittelschweren bis schweren Depression. „Das scheint zunächst widersprüchlich zu sein“, kommentieren die Autoren, „aber Postdocs brennen für ihre Arbeit und sie lieben, was sie tun. Gleichzeitig ringen sie mit den prekären Bedingungen, die eine akademische Karriere mit sich bringt.“ Besonders Depressions- und Angst-fördernd sind dabei lange Arbeitszeiten von mehr als 50 Stunden die Woche und ein Arbeitsverhältnis, das nicht über einen Arbeitsvertrag geregelt ist.

Keine Unterstützung

Auch die Care-Arbeit im Privaten wirkt als Stressor auf die Postdocs. Besonders auf die Mütter, die in der Umfrage als am unglücklichsten, depressivsten, ängstlichsten und gestresstesten abschnitten. Sie fühlten sich während der Corona-Pandemie auch am wenigsten unterstützt. Ein in der Umfrage zitierter Kommentar unterstreicht die desolate Situation: „I must admit that I am horrified by the (non-) support that mothers (and fathers) at my institute receive – which, to be quite honest, is none.”

Aber auch außerhalb deutscher Forschungsinstitute sieht das Leben von Postdocs nicht gerade rosig aus. Regelmäßig fängt Nature ein Stimmungsbild im weltweiten Postdoc-Lager ein. Die letzten Surveys offenbarten: die psychische Gesundheit insbesondere von Nachwuchswissenschaftlern leidet immer mehr. Es wird Zeit, daran wirklich etwas zu ändern.

Kathleen Gransalke

Bild: Pixabay/ErikaWittlieb


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Letzte Änderungen: 12.06.2023