Editorial

Ein fruchtbares Waterloo

(21.09.2023) Ein Molekül gegen rheumatoide Arthritis vom Labormaßstab zur Großproduktion zu bringen, erwies sich für aidCURE als unterschätzte Herausforderung.
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Der Firmengründung 2022 gingen viele Jahre Grundlagen­forschung voraus, und eine enge Zusammen­arbeit zwischen Forschungsteams am Fraunhofer-Institut für Translationale Medizin und Pharmakologie (ITMP) und der Frankfurter Uniklinik sowie dem Karolinska-Institut in Stockholm. aidCURE ist eine Ausgründung aus dem Fraunhofer-Institut.

Im Gegensatz zu klassischen Impfstoffen baut das Vakzin von aidCURE keine Immunität gegen ein bestimmtes Antigen auf, sondern im Gegenteil eine Toleranz – man will dem Immunsystem also beibringen, gelassener auf körpereigene Strukturen zu reagieren. Um die autoimmune Reaktion wieder runterzubremsen, besteht der Wirkstoff aus einem MHC-Klasse-II-Molekül, das das Gelenk­knorpel­peptid COL2 präsentiert. Im Tiermodell werden dabei regulatorische T-Zellen auf den Plan gerufen (PNAS, 120(25): e2218668120). Beim Menschen würde man die Impfung durch subkutane Gabe dieses Molekül­komplexes durchführen. Die ersten klinischen Studien hierzu sollen 2025 starten.

Editorial

Neben Frank Behrens (ITMP) und Rikard Holmdahl (Karolinska-Institut) ist Harald Burkhardt (im Bild) einer der drei Gründer der in Frankfurt am Main ansässigen Firma. Burkhardt leitet die Rheumatologie der Uniklinik Frankfurt und ist seit jeher an der Translation von Erkenntnissen aus der Grundlagen­forschung in die medizinische Anwendung interessiert. Im Gespräch gibt er uns Einblicke in den nicht immer ganz glatten Weg bis zur Firmengründung.

Schon 2017 belegten Sie mit aidCURE den ersten Platz beim Science4Life Venture Cup (Laborjournal berichtete). Klinische Studien am Menschen waren da noch nicht mal in Reichweite. Womit hatten Sie die Jury überzeugt?
Harald Burkhardt: Ich stecke natürlich nicht in den Köpfen der Juroren. Aber ich denke, dass wir tatsächlich ein innovatives Prinzip vorgestellt haben. Es gibt ja eine Reihe von hochpotenten anti­inflamma­torischen Wirkstoffen gegen rheumatoide Arthritis, allerdings ohne das Ziel der Heilung zu erreichen. Denn eigentlich gibt man ja keine krankheits­modifizierenden Wirkstoffe, sondern hochpotente anti­inflamma­torische Substanzen. Ein TNF-Blocker mag ein bestimmtes Zytokin auf der Endstrecke einer immunologischen Antwort blockieren, aber die gesamte zugrunde­liegende Pathogenese läuft ja trotzdem weiterhin ab. All das sind natürlich wertvolle Medikamente, doch sie wirken relativ breit immun­supprimierend, sodass nicht verwundert, dass anti­inflamma­torische Wirkpotenz auch mit unerwünschten Wirkungen erkauft wird. Das Wirkprinzip der von aidCURE entwickelten Vakzine greift dagegen in zentrale Mechanismen der Pathogenese ein und steuert selektiv die Immunreaktion. Ich vermute, dass dieses Potential die Jury beeindruckt hat.

Seit diesem Preis sind noch fünf Jahre vergangen bis zur eigentlichen Firmengründung. War Ihnen damals klar, dass es noch ein weiter Weg sein würde?
Burkhardt: Nein, das war uns weiß Gott nicht klar. Wir haben anschließend noch mal ein – rückblickend betrachtet aber ziemlich fruchtbares – Waterloo erlebt: Für Arzneimittel ist ja die sogenannte gute Herstellungs­praxis einzuhalten, die Good Manufacturing Practice oder GMP. Diesen GMP-Prozess für die Produktion des Moleküls haben wir damals ausgearbeitet. Dabei sollten alle Anteile des Moleküls entfernt sein, die für seine pharmako­dynamische Wirkung nicht unerlässlich sind. Wir haben also Molekül­bestandteile entfernt, die die Aufreinigung des rekombinanten Moleküls erleichtern sollten. Unvorher­gesehenerweise führte dies jedoch zu einer deutlich reduzierten Funktionalität der Vakzine. Den Grund dafür zu finden, hat uns dann noch eine ganze Zeit lang wissenschaftlich beschäftigt. Die entfernte Moleküldomäne erwies sich schließlich als essentiell für die Vermittlung zusätzlicher Bindungs­notwendigkeiten des Moleküls an Glykos­amino­glykan-Strukturen, die für das Targeting der Vakzine an der richtigen Stelle und die korrekte allosterische Ausrichtung für eine optimale T-Zell-Aktivierung nötig sind. Insofern haben wir den initialen Rückschlag kreativ zu einem weiteren Patent nutzen können. Sie müssen sich vorstellen, dass Sie ein Herstellungs­verfahren für ein MHC-Klasse-II-Molekül mit einem tolerogenen Peptid in seiner Bindungstasche unter GMP-Bedingungen brauchen. Das ist gegenüber dem, was man sonst so an rekombinanten therapeutischen Molekülen wie Antikörpern kennt, eine große Herausforderung.

Also nichts, was man einfach mal E. coli erledigen lässt.
Burkhardt: Nein, E. coli käme gar nicht in Frage, und auch die typischen Hamsterovar-Zelllinien, die häufig für die GMP-Produktion verwendet werden, funktionieren nicht. Es klappte mit einer entsprechenden Zelllinie, die auch die kollagen­typischen Modifikationen am Peptid in der Bindungstasche des MHC-II-Moleküls durchführen kann. Aber auch da musste zusätzlich mit genetischer Editierung nachgebessert werden, damit die aktivierende T-Zell-Rezeptor-Erkennung des rekombinanten MHC-Moleküls gewährleistet ist. All das war sicher ein Grund für die Projekt­verzögerung. Und dann kamen natürlich noch die Corona-Pandemie und jetzt der Krieg in der Ukraine erschwerend hinzu. Nicht gerade günstige Voraussetzungen, um Risikokapital zu akquirieren.

Also waren Sie durch die Pandemie weniger als Grundlagen­forscher eingeschränkt, sondern eher bei der Suche nach Investoren?
Burkhardt: Ja. Eigentlich hatten wir viele Interessenten, aber das hat sich in der Corona-Phase ziemlich zerstreut. Eine andere Sache, die wir vielleicht auch unterschätzt hatten: Unser ursprüngliches Team war zwar in Sachen Wissenschaft und klinischer Forschung exzellent aufgestellt, aber die Business-Expertise hat man uns zu diesem Zeitpunkt nicht so wirklich abgenommen. Dahingehend haben wir unser Team inzwischen verstärkt. Über diese gesamte Zeit hinweg hilfreich war dabei unsere Verbindung mit der Fraunhofer-Gesellschaft.

Wo wir gerade über Corona sprachen: Da gab es ja BioNTech, die sich mit Pfizer einen großen Partner ins Boot geholt haben. Gibt es bei Ihnen auch solch einen großen Player, mit dem Sie eine Zusammenarbeit für die Vermarktung planen?
Burkhardt: Die großen Partner schließen wir nicht aus, jedoch sehen wir ihre Rolle eher zu späteren Zeitpunkten, wenn wir mit den klinischen Studien weiter sind. Unser primäres Ziel ist jetzt erst einmal, die klinische Studienphase 1b erfolgreich zu bestreiten.

Das bedeutet, Sie müssen Investoren bei der Stange halten, die an den Erfolg glauben. Denn derzeit erzielt aidCURE ja noch keine Einnahmen.
Burkhardt: Ja.

Wem gehören eigentlich die Patente, die im Zusammenhang mit aidCURE entstehen?
Burkhardt: Die Patente sind über Fraunhofer angemeldet, aber sie werden für aidCURE als exklusives Nutzungsrecht auf der Basis vertraglicher Vereinbarung uneingeschränkt nutzbar sein. Hervorzuheben ist in Frankfurt die gute Kooperation von Fraunhofer und Goethe-Universität mit entsprechenden Kooperations­vereinbarungen. Gerade an Patentrechten können sich Konflikte zwischen Universität, Erfindern und externen Kooperations­partnern entzünden. Dies scheint am Beginn eines Projektes noch sehr weit weg zu sein, aber man sollte mögliches Konfliktpotential schon frühzeitig erkennen, sich informieren und Vereinbarungen treffen. Das finde ich wichtig.

Haben Sie noch weitere Tipps für andere Forscherinnen und Forscher, die sich für Translation in die Medizin interessieren und ebenfalls eine Firmengründung ins Auge fassen?
Burkhardt: Man sollte sich viel Beratung einholen. Wir sind damals auch über das Go-Bio-Programm des BMBF gefördert worden. Hier kann man ja einfach mal die Wettbewerbs­unterlagen durchschauen, um sich einen Überblick zu verschaffen, was überhaupt von einem erwartet wird. Anfangs weiß man das ja gar nicht. Und ich rate dazu, mit Leuten zu sprechen, die so etwas schon selber versucht haben. Bei uns war, wie gesagt, dieser Sprung vom Labormaßstab in Richtung Großproduktion eine initial deutlich unterschätzte Herausforderung. Wenn man zuvor nur Forscher an der Uni war, kommen viele Dinge auf einen zu, mit denen man sich noch nie beschäftigt hat.

Mario Rembold

Bild: AidCURE & Pixabay/Witzia (Hintergrund)


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Letzte Änderungen: 21.09.2023