Editorial

Dicker Fuß, kranke Niere

(14.12.2023) Das Greifswalder Start-up Nipoka schaut Nieren hochaufgelöst auf die Füße und will so die Diagnostik und Erforschung von Nierenerkrankungen revolutionieren.
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Das Start-up Nipoka analysiert die Filtereinheiten von Nieren

Es sieht aus wie ein wildes Gewusel: Wie feine Härchen umschlingen tausende winzige Auswüchse ein dünnes Blutgefäß in der Niere. Die Auswüchse sind Pedikel, kleine Füßchen, die zu den Fußzellen (Podozyten) der Niere gehören. Die Pedikel greifen so ineinander, dass sie sogenannte Filtrationsschlitze bilden und damit die Blut-Urin-Schranke aufrechterhalten.

So wundert es kaum, dass die Podozyten eine wichtige Rolle bei der Nierenfunktion spielen, wie Nicole Endlich (im Bild) berichtet: „In etwa 80 Prozent der Nieren­erkrankungen sind die Fußzellen beschädigt. Allerdings sind diese Schäden nur schwer zu diagnostizieren.“ Die Professorin für Anatomie und Zellbiologie an der Universität Greifswald gründete deshalb 2019 zusammen mit ihrem Sohn das Start-up Nipoka, das eine Methodik entwickelt hat, um die Morphologie der Podozyten genau zu untersuchen. Die Schäden der Fußzellen und ihrer Pedikel genau messen zu können, ist ein wichtiger Schritt hin zu einer gezielten Behandlung von Nieren­erkrankungen, sagt Endlich. „Normalerweise gibt man bei Nieren­erkrankungen zunächst Cortison. Sind aber die Podozyten betroffen, hilft das oft gar nicht.“

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Automatisch und hochauflösend

Die gegenwärtige Standardmethode, um die Morphologie der Fußzellen und ihrer Auswüchse zu überprüfen, ist die Elektronenmikroskopie. Damit können jedoch nur maximal drei Zellen pro Gewebeprobe analysiert werden. Zudem sind die Pedikel mit einer Dicke von 50 – 90 nm so winzig, dass selbst mit dem Elektronenmikroskop nur eine grobe Abschätzung des Beschädigungsgrades möglich ist. „In unseren Nieren befinden sich etwa eine Million solcher Filter­einheiten und die heutige Diagnostik stützt sich auf Ergebnisse aus nicht mal einer Hand von Zellen“, unterstreicht die Gründerin.

Genau dort setzt Nipoka an. Die Methode des Start-ups basiert auf der dreidimensionalen, strukturierten Illuminationsmikroskopie (3D-SIM). Dabei wird eine mit fluoreszierenden Farbstoffen versehene Probe mit Licht in Form eines Liniengitters beleuchtet. Nach jeder Aufnahme wird das Gitter leicht verschoben und nach diesem Prinzip eine Vielzahl von Bildern erzeugt. Diese werden übereinander gelegt und daraus ein einzelnes Bild berechnet, dessen Auflösung weit unterhalb des Abbe-Limits von 200 Nanometern liegt. „Die Vorbereitung der Probe bleibt dabei gleich. Wir verwenden histologische Schnitte, die standardmäßig für eine Untersuchung des Nierengewebes angefertigt werden“, erklärt Endlich.

An klinischer Studie beteiligt

Neben der höheren Auflösung können mit der Methode der Greifswalder alle Fußzellen auf dem Objektträger analysiert werden. Dazu entwickelte Endlich zusammen mit ihrem Sohn eine KI-basierte Software, die die Länge des Filtrationsschlitzes automatisch bestimmt. „Damit haben wir erstmalig einen objektiv vergleichbaren Wert. Wir können also genau messen, wie stark der Beschädigungsgrad ist und auch verfolgen, ob eine Therapie anschlägt.“ Getauft haben die Greifswalder ihre Methode Podocyte Exact Morphology Measurement Procedure (PEMP), also exakte Prozedur zur Messung der Podozytenmorphologie.

Derzeit zählen vor allem Pharma­unternehmen zu den Kunden von Nipoka. So analysierte das Start-up aus dem Norden zusammen mit dem US-amerikanischen Unternehmen Eloxx Pharmaceuticals Gewebeproben aus dessen Phase-2-Studie zum Wirkstoffkandidaten ELX-02. Dieser soll bei einer Form der genetisch bedingten Nieren­insuffizienz eingesetzt werden. „Dank unserer Daten hat die FDA mittlerweile den Übergang in eine großangelegte Phase-3-Studie genehmigt“, erzählt Endlich nicht ohne Stolz. Für einen diagnostischen Einsatz ist PEMP bisher allerdings noch nicht zugelassen, doch auch hier tut sich etwas: „Mein Herz hängt daran, PEMP in den Routinebetrieb zu bekommen. Dafür sind wir gerade an Pilotstudien beteiligt.“

Zu weit ab vom Schuss

Für diesen Zweck erhielt Endlichs Unternehmen eine halbe Million Euro vom Land Mecklenburg-Vorpommern. Überhaupt sei die Unterstützung durch das Bundesland sehr groß: „Obwohl die Start-up-Szene hier recht klein ist, werden wir sehr durch die Politik unterstützt. Eine Anschlussfinanzierung durch Investoren zu finden, ist jedoch recht schwer“, sagt die Gründerin. Oft scheitere es an der Entfernung zu größeren Industriezentren. „Hier im Norden gibt es wenige Firmen, die investieren könnten. Die Lage ist in Rostock und Stralsund etwas besser, doch auch für viele Investoren aus anderen Bundesländern ist Greifswald zu weit ab vom Schuss.“ Dennoch lässt sich Endlich nicht entmutigen, vor allem da ihre Methode international auf großes Interesse stößt.

Für die Zukunft wünscht sich die Gründerin, dass PEMP auch zur neuen Standardmethode für die Forschung wird. „Hier haben wir bisher ein ähnliches Problem wie in der Diagnostik. Publikationen basieren auf winzigen Ausschnitten der Niere und da kann man sich im Prinzip das aussuchen, was gerade zur Hypothese passt.“ Endlichs Anspruch ist kein geringerer, als die Nierenforschung zu revolutionieren und dazu beizutragen, die Erkenntnisse aus der Forschung zu den Patienten und Patientinnen zu bringen.

Tobias Ludwig

Bild: Lukas Voigt (Uni Greifswald)


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Letzte Änderungen: 14.12.2023