Editorial

Von Corona bis Hanna
und Handys

(05.01.2023) Was waren die beliebtesten Artikel bzw. Themen auf Laborjournal online im letzten Jahr? Wir schauen auf die Statistik und zurück ins Jahr 2022.
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Ist schon wieder Januar? 2023? Hilfe, die Zeit rast, aber wir halten kurz inne und blicken zurück. Erneut auf ein schwieriges Jahr. Mit einer noch immer nicht überstandenen Pandemie, mit dem Krieg in der Ukraine. Diese beiden Themen haben auch uns bei Laborjournal im letzten Jahr thematisch beschäftigt. Ersteres natürlich etwas häufiger als letzteres. Tatsächlich sind die Artikel über COVID-19 und SARS-CoV-2 laut unserer internen Statistik offenbar noch immer am interessantesten für Sie, liebe Leserinnen und Leser.

Die Top-3-Artikel auf unserer Website haben allesamt die Pandemie zum Thema. Am häufigsten gelesen und durchaus kontrovers diskutiert wurde dabei vor allem das Gespräch mit Andreas Radbruch, wissen­schaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts Deutsches Rheuma-Forschungs­zentrum Berlin vom März. Im Interview mit LJ-Autorin Karin Hollricher sprach sich Radbruch eher gegen eine allgemeine Impfpflicht aus, denn „ich [habe] große Angst davor, dass eine Pflicht zu ständigen Wiederholungs­impfungen führt, die nichts bringen und das Impfen insgesamt in Verruf bringen können.“

Editorial

Noch mehr Corona

Im September hatte sich das Thema Impfpflicht erledigt, in den Fokus rückten nun immer mehr die Langzeit-Auswirkungen einer SARS-CoV-2-Infektion. Vor allem bei Kindern. Mario Rembold sprach darüber mit dem Kinder­kardiologen Daniel Vilser von der Uniklinik Jena. Er ist einer der Spezialisten der dortigen Post-/Long-COVID-Ambulanz für Kinder und Jugendliche. Vilser beklagte im Gespräch vor allem, dass es für die Diagnose der Erkrankung bislang an Biomarkern fehlt. „Es gibt verschiedene Untersuchungen, die gezeigt haben, dass es bei Long-COVID-Patienten manchmal Autoantikörper gegen gewisse körpereigene Strukturen gibt. Oder dass der Cortisol­spiegel insgesamt etwas erniedrigt ist. Das hilft aber nicht dem einzelnen Patienten weiter und sichert auch nicht die Diagnose.“

Im dritthäufigst gelesenen Artikel beschreibt die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek ihre persönlichen Erfahrungen während der Pandemie im Essay „Virologie im Medienfokus“. Dazu gehört auch der wissen­schaftliche Diskurs der Forscher untereinander. „Eigentlich hat es in der Wissenschaft eine lange und wertvolle Tradition, Angriffe ad hominem zu unterlassen und den Diskurs auf der Sachebene auszutragen. Diesen respektvollen Umgang haben wir in der Pandemie teilweise eingebüßt,“ konstatiert sie.

Namen und der Narr

Corona spielt auch in einem weiteren Top-Artikel eine Rolle – wenn auch nur eine nebensächliche –, denn nicht nur COVID-19 steht im Verdacht ME/CFS, also Myalgische Enzephalo­myelitis/Chronic-Fatigue-Syndrom, auszulösen. Im Artikel „Die Macht der Namen“ von Mario Rembold geht es aber nicht um Auslöser der Erkrankung, sondern um den Umgang mit ihr. „Wie kann eine vergleichsweise häufige Erkrankung unter Ärzten so unbekannt sein?“ fragt Rembold. Und liefert die Antwort gleich mit: „Vielleicht ist daran die uneinheitliche Namens­gebung nicht ganz unschuldig. Denn Fatigue kommt als Symptom sehr vieler Erkrankungen vor und ist nicht dasselbe wie CFS. Selbst wenn die Verdachts­diagnose unter diesem Namen in einem Arztbrief landet, wird der nächste Facharzt vielleicht darüber hinweglesen.“

Unter den zehn meist gelesenen Artikeln befinden sich laut unserer Statistik und nicht wirklich überraschend auch drei Beiträge unseres Wissenschafts­narren. In „Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt!“ beschäftigt sich Ulrich Dirnagl mit zwei aktuellen Positionspapieren der Deutschen Forschungs­gemeinschaft zum wissenschaftlichen Publizieren und Open Science. „Vielleicht hat es mir den Kopf verdreht, dass ich an dem Papier zum Publizieren mitarbeiten durfte, aber ich denke, zumindest für die DFG handelt es sich dabei um geradezu revolutionäre Schriftstücke“, gibt sich der Narr begeistert.

Närrischer Tadel und Lösungen

In mehr „Mehr Handys, mehr Dicke?“ geht es unter anderem um eines der Lieblingsthemen des Narren – Statistik. Forscher der Uni Lübeck hatten eine Studie veröffentlicht, in der sie zeigten, dass Handystrahlung die Nahrungs­aufnahme beeinflusst. Doch der Narr tadelt: „Diese Studie ist ein Lehrstück für all die Probleme, die die Biomedizin seit Jahren plagen – und dem Narren leider unerschöpflichen Stoff für diese Kolumne bieten. Nichts wurde hier ausgelassen. Die Probleme fangen beim Studiendesign an und hören erst beim Reporting, also der eigentlichen Veröffentlichung, auf.“

Schließlich erfreute sich auch des Narrs Beitrag zum Thema „Hanna und die Dauerstellen-Debatte“ großen Interesses. Wohl auch, weil Dirnagl darin Lösungs­vorschläge benennt: „Abgesehen von einer nötigen allgemeinen Erhöhung der staatlichen Grundförderung [...], müssten die Mittelflüsse in der deutschen Hochschul­förderung angepasst werden. Universitäten sollten aus der Projekt­finanzierung zusätzliche Mittel für Dauerstellen erhalten. […] Über neu zu etablierende Verteilungs­schemata könnte den Universitäten aus den geförderten Projekten die Bereitstellung von Personal­ressourcen aus dem Dauerstellen-Pool möglich gemacht werden. Dies ist sicher nicht auf Arbeitsgruppen-Niveau möglich, wohl aber auf Einrichtungs-, also beispielsweise auf Institutsebene.“

Ukraine und klinische Studien

Neben Narr und Corona haben es drei weitere Artikel mit recht unterschiedlichen Themen in unsere Top 10 geschafft. Im März sprach Henrik Müller mit der ukrainischen Forscherin Halyna Shcherbata, die an der Medizinischen Hochschule Hannover die Arbeitsgruppe Genexpression und Signal­übertragung leitet, über den Krieg in ihrem Heimatland. Sie macht deutlich: „Gegen totalitäre Regime müssen vor allem Wissenschaftler ihren Mund aufmachen. Sobald auch sie einer Gehirnwäsche unterzogen sind, ist es zu spät […]. Wir als Wissenschaftler müssen Meinungsfreiheit und Informations­austausch schaffen und sichern.“

Im Januar gingen wir das Thema klinische Studien an. Denn auch hierbei ist in Deutschland noch einiges ausbaufähig, schreibt Karin Hollricher und zitiert Cochrane-Deutschland-Direktor Jörg Meerpohl mit den Worten: „Natürlich wäre mehr Geld für die klinische Forschung prima, doch damit alleine ist es leider nicht getan. Denn die Probleme sind vielfältig. […] Es fängt schon bei der Planung und Registrierung an – und hört bei der unvollständigen oder nicht existenten Veröffentlichung von Daten auf.“

Im September schrieb unser Chefredakteur schließlich einen Beitrag über die CNS-Disease. Nein, keine neue Nerven-Krankheit, sondern die Krankheit, „dass im biomedizinischen Publikations­universum die Dreifaltigkeit der Zeitschriften Cell, Nature und Science allzu große, und dazu noch oftmals voreilige Verehrung erfährt.“ Obwohl schon im Jahre 2007 von Harald Varmus entdeckt, gibt es gegen die Seuche noch immer kein Heilmittel. Gelegentliche Heilversuche finden jedoch schon hier und da statt.

Sparsame Kühlschränke

Zu guter Letzt wollen wir auch noch auf die angesagtesten Methoden-Artikel des Jahres 2022 schauen. Zweimal vertreten sind Tipps zum Energiesparen im Labor und an der Uni. „In Laborgeräten schlummert meist ein umfangreiches Einspar­potenzial. Mit der einfachen Regel ‚Alles, was viel Krach macht, viel Wärme oder Kühlung braucht oder große Massen schnell bewegt‘ sind die lukrativsten Einspar­kandidaten schnell gefunden“, gibt Andrea Pitzschke im Artikel „Kleinvieh macht auch Mist“ einen wertvollen Ratschlag.

In „Eiskalt Energie sparen“ geht es konkreter um Sparmaßnahmen bei Ultratief­kühlschränken (ULT). Die German Biobank Alliance empfiehlt: „ältere Geräte auszusortieren und nur so wenige ULT wie nötig zu verwenden. Auf halb volle Freezer, die mit größtenteils vergessenen Proben­beständen irgendwo im Keller ihr Dasein fristen, sollte man unbedingt verzichten. [...]. Auch das Verwerfen bestimmter Proben kann eine Option sein.“

Proteine und DNA

Besonders beliebt war auch der Artikel „Western Blot mit Southern Blot“, der ein simples Kontakt-Blotting-Verfahren beschreibt, mit dem Proteine nach einer nativen Agarose-Gelelektro­phorese auf eine Membran übertragen werden können. „Ein wesentlicher Vorteil des Verfahrens besteht darin, dass man die geblotteten Proteine mit Konformations-spezifischen Antikörpern detektieren kann. Dem Team gelang es beispielsweise in Extrakten von HEK293-Zellen, die SARS-CoV-2-Spike-Proteine exprimierten, die Alpha- von der Delta-Variante zu unterscheiden“, verdeutlicht Andrea Pitzschke.

Um Proteine ging es auch im Top-5-Artikel „Protein-Labelling mit künstlicher Intelligenz“. Darin stellten die Entwickler ihre Software namens Proto vor, „die Forschende beim effektiven Markieren von Proteinen unterstützt“ und zwar, indem Proto den für die Messung geeignetsten Farbstoff vorschlägt.

Wie Forscher und Forscherinnen DNA mit flüssigem Salz aus Pflanzenzellen extrahieren können, erläuterte Andrea Pitzschke im April. „Ionische Flüssigkeiten (IL) sind Salze, deren Schmelz­temperatur unter hundert Grad Celsius liegt. Sie sind thermisch stabil, sehr leitfähig und hydrophob. Bringt man in ihren Kationen oder Anionen eine paramagnetische Komponente unter, werden sie zu magnetischen ionischen Flüssigkeiten, die mit einem Magneten greifbar sind. Moleküle, die an ihnen haften wie zum Beispiel DNA, lassen sich hierdurch bequem isolieren.“

Auch im neuen Jahr möchten wir Ihnen wieder viele interessante, spannende und unterhaltsame Lektüre bieten. Die Lebens­wissenschaft ist dafür die beste Quelle. Bleiben Sie also dran (an der Forschung und an Laborjournal)!

Kathleen Gransalke

Bild: NGAWiss (Hanna) & Pixabay/visuals3Dde



Letzte Änderungen: 05.01.2023